Chapter 1: Januar. Prolog. Ich glaub' ich hab dich lieb
Chapter Text
Januar.
Prolog. Ich glaub’ ich hab dich lieb
Ich glaub, ich hab dich lieb
In der Nacht krieg ich kein Auge mehr zu
Ich glaub, ich hab dich lieb
Denn in meinem Kopf bist immer nur du
Ja, du machst mir Mut
Dein Blick tut mir so gut
(Rolf Zuckowski – Ich glaub‘ ich hab dich lieb)
Der Nachthimmel über Saarbrücken erstrahlt immer noch in einem Lichtermeer, als die altmodische Standuhr in Pias Wohnzimmer Eins schlug. Zischend und pfeifend ziehen die letzten Raketen in den Himmel, vertreiben mit ihrem Knall und Getöse die Dämonen des alten Jahres und machen Platz für das Gute. So zumindest der Brauch. Das ferne Heulen der Sirenen klingt eher weniger nach etwas Gutem.
Adam ist froh, dass sie dieses Silvester keine Bereitschaft hatten und einem entspannten Abend nichts im Weg gestanden hat. Zwar hat Pia darauf bestanden, dass sie das alte Jahr gemeinsam als Team verabschieden, doch mittlerweile ist sie eine Freundin geworden und Silvester hat Adam nach Möglichkeit schon immer mit Freunden verbracht.
Sei es an fernen Stränden mit Freunden für die Dauer des Abends oder bis vor einigen Jahren in Berlin, wo er zum ersten Mal so etwas wie einen Freundeskreis gehabt hat, die ihn so nehmen wie er war und ihn nicht trotz, sondern gerade wegen seiner Art mochten. Er sollte sich definitiv wieder mehr bei ihnen melden.
Silvesternächte waren seit jeher melancholisch und Adams Herz mit jedem Jahr schwerer geworden, an dessen Ende die Person fehlte, die er so sehr vermisste und die seinen einzigen Neujahrsvorsatz dominierte.
Diese Person schmiegt sich nun an seinen Rücken, der weiche Pullover streichelt sanft Adams nackte Unterarme, als sich die Hände vor seinem Bauch verschränken. Warmer Atem kitzelt seinen Nacken und ein angenehmes Prickeln bildet sich an der Stelle, an der kurz Lippen seine Haut berühren. Ihren Kuss um Mitternacht haben sie gehabt und das Feuerwerk in Adams Herzen ist um ein tausendfaches besser gewesen als das am Saarbrücker Nachthimmel.
Nur zu gern gibt er den leichten Zug um seine Körpermitte nach und lässt sich bereitwillig tiefer in Leos Umarmung fallen, der mit einem zufriedenen Seufzen seinen Kopf gegen Adams lehnt.
“Ich liebe dich, Adam”, flüstert Leo und drückt einen Kuss auf Adams Schulter.
Die Schmetterlinge, die auch nach Monaten noch genauso aufgeregt in seinem Magen flogen, setzen zu einem Freudentanz an und Adams Wangen schmerzen bereits ein wenig vom breiten Grinsen, das sein Gesicht überzieht. Dass Leo ihn liebt, ist die schönste Entwicklung des letzten Jahres und an manchen Tagen kann Adam nicht kaum glauben, dass es das Leben endlich einmal gut mit ihm meint und er glücklich sein darf.
“Ich liebe dich auch, Leo”, antwortet er leise, dreht seinen Kopf, um einen Kuss auf Leos Wange zu hauchen. Das Strahlen auf Leos Gesicht übertrifft die Lichter am Himmel.
“Wollen wir nach Hause?”, fragte Leo und dreht Adam in seinem Arm zu sich, so dass seine Hände auf Adams unteren Rücken rutschen und dort auf dem dünnen Stoff des Sweatshirts kleine Kreise ziehen.
“Fordert der Anstand nicht, dass man wenigstens, bis ein Uhr auf einer Silvesterparty bleibt?” Nicht, dass Adam sich groß um Anstand und Gepflogenheit schert, aber Leo ist so etwas wichtig und da Leo Adam wichtig ist, muss er seine Standards dahingegen anpassen.
Leo rollt mit den Augen und ruckt mit dem Kopf hinter sich in die Wohnung. “Pia und Esther sind auch froh, wenn sie uns früher los sind.”
Adams Grinsen wird, wenn es überhaupt geht, noch breiter. “Du meinst, wir stören sie beim Knallen?” Er wackelt mit den Augenbrauen und Leo lässt sich prustend gegen Adam fallen.
“Was die beiden machen, ist mir egal, aber ich will mit dir das Jahr begrüßen. Nur wir beide.” Leos Stimme ist fast nur noch ein Schnurren und Adam schickt einen freudigen Schauer über Adams Körper.
Entschlossen greift er nach Leos Hand und zieht ihn vom Balkon durch das warme Wohnzimmer, wo Pia und Esther sich kaum voneinander lösen und ihnen nur flüchtig zu winken, in den Flur. Hastig schlüpfen sie in ihre Jacken und kichern so ausgelassen, wie sie es selbst als Jugendliche nicht getan hatten, als sie Hand in Hand durch das Treppenhaus hinaus in die Nacht des neuen Jahres stolpern.
Das warme Funkeln in Leos Augen, mit dem er ihn ansieht und das kleine, ein wenig ungläubige Lächeln auf seinen Lippen, lassen Adam einen Moment lang verharren. Fragend dreht Leo sich zu ihm um und Adam kann die unausgesprochene Frage auf seinem Gesicht lesen.
Er zieht Leo zu sich und küsst ihn sanft. “Ich bin so verdammt glücklich wie noch nie zu Silvester.”
Leo strahlt ihn an und reckt sich für einen weiteren Kuss. “Und ich erst. Ich verspreche dir, dass dieses Jahr besonders wird.”
“Ja?”, fragt Adam neckend, denn dass das Jahr besonders wird, das weiß er. Mit Leo an seiner Seite kann es gar nicht nicht besonders werden.
“Ja, und damit ich dir einen Vorgeschmack geben kann, müssen wir jetzt dringend nach Hause.” Bei dem verheißungsvollen Zwinkern, das Leo ihm zuwirft, kann Adam gar nicht schnell genug ins Auto und durch die leeren Straßen nach Hause kommen.
Sie wachen spät auf an diesem Neujahrstag und Adam brummt unzufrieden, als Leo sich unter der warmen Decke hervorschiebt und er somit sein persönliches Heizkissen verliert. Mit kleinen Augen blinzelt er Leo an, der sich den achtlos auf den Boden geworfenen Pullover überzieht und aus dem Schlafzimmer tapst.
Das Rattern der Kaffeemaschine lässt Adam zufrieden ins Kissen seufzen und er drückt seine Nase in den Bezug, der nach Leo riecht und schließt für einen Augenblick noch mal die Augen. Sie haben auch heute noch frei und Adam sieht nicht ein, dass er das Bett auch nur für eine Sekunde verlässt, außer für Abstecher ins Bad. Er hat alles, was er braucht, sobald Leo wieder zu ihm unter die Decke kriecht und vermutlich zwei verführerisch dampfende Kaffeetassen mitbringt.
Tatsächlich steht kurz darauf Leo wieder im Schlafzimmer, balanciert die beiden Tassen auf einem kleinen Tablett und hat eine kleine Kiste unter den Arm geklemmt. Adam nimmt ihm eine Tasse ab und nimmt einen vorsichtigen Schluck, während Leo unter die Decke schlüpft und seine eigene Tasse auf dem kleinen Nachtschrank neben sich abstellt. Die bunte Kiste schiebt er Adam zu, der überrascht aufschaut.
“Was ist das?”, fragt Adam neugierig und sieht zu Leo, der nervös seine Unterlippe zwischen die Zähne gezogen hat.
“Mach auf”, sagt er mit rauer Stimme und Adam löst vorsichtig den Deckel.
In der Kiste liegen mehrere Umschläge und obendrauf eine Karte. Adams Kehle wird für einen Moment eng, als er den Schriftzug auf dem grünen Untergrund liest.
Es ist nie zu spät für eine schöne Kindheit.
Seine Finger zittern, als er über die Karte streicht, und hinter seinen Augen brennt es gefährlich.
“Ich habe mir über das Jahr verteilt kleine Dinge überlegt, die du vermutlich als Kind nie machen durftest.” Leos Stimme ist sanft, bebt aber leicht und Adam tastet blind nach Leos Hand, während er die Karte beiseite legt und sich die Umschläge genauer ansieht. Zwölf, für jeden Monat einen.
Gerade will er nach dem für Januar greifen, da schiebt sich Leos freie Hand über seine. “Nein, noch nicht. Es ist noch nicht die Zeit für den Umschlag.”
“Aber es ist doch schon Januar?” Adam hört selbst, wie ungeduldig er klingt. Leo lacht leise und drückt seine Hand.
“Vertrau mir –”
“Immer!”, kommt es reflexartig über Adams Lippen. Er vertraut Leo schon immer, auch wenn er es sich andersherum hart hat erarbeiten müssen.
Leos Lächeln wird breiter und er lehnt sich zu Adam hinüber, küsst ihn zärtlich und hebt eine Hand an Adams Wange. “Ich dir auch, nur damit du das weißt, ja?”
Adam schluckt schwer um den Kloß in seiner Kehle und nickt.
Lächelnd küsst Leo ihn noch mal und stellt die Kiste zu seiner Kaffeetasse auf den Nachtschrank. “Und bis es so weit ist, habe ich andere Pläne mit dir für diesen Tag.”
Nur allzu breitwillig lässt Adam sich zurück in die Kissen drücken und nimmt Leos schweren Körper auf seinen in Empfang.
Besser als mit dem Feuerwerk, das Leos Küsse in ihm entfachten, konnte das neue Jahr nicht beginnen.
Chapter 2: Januar: Es schneit, kommt alle aus dem Haus
Summary:
Das Kapitel, in dem die Rodelpisten von Saarbrücken erobert werden.
Notes:
In Berlin ist zwar mehr Schneematsch als Winter Wonderland, aber ich wollte den Anlass für den Januarprompt nutzen.
Vielen Dank für die Kudos & Kommentare! Ich habe mich sehr gefreut und schicke euch allen ein warmes Heißgetränk dieser Tage!
Ich wünsche euch viel Spaß <3
Chapter Text
Januar: Es schneit, kommt alle aus dem Haus
Es schneit! Es schneit!
Das müsst ihr einfach sehn!
Kommt mit! Kommt mit!
Wir wollen rodeln gehn.
(Rolf Zuckowski – Es schneit)
„Adam, hey Adam! Wach auf!”
Leos Stimme dringt wie Watte zu ihm durch und zieht ihn langsam aus den Tiefen seines Schlafs. Er will nicht aufwachen, auch wenn neben und mit Leo aufwachen immer noch das Schönste ist, was er sich vorstellen kann, will er sich heute noch ein wenig länger dem erholsamen Nebel in seinem Kopf hingeben.
Die erste richtige Woche des Jahres ist anstrengend gewesen und sie müssen erst wieder in den Alltagstrott finden. Langes Kuscheln und Verweilen im Bett am Morgen ist nicht drin, wenn die Verbrecher des Saarlands ihr Unwesen treiben und es ihre Aufgabe ist, dem entgegenzusetzen. Schöner wäre es noch, wenn die Kriminellen auch mal an die Work-Life-Balance von Kriminalbeamten denken würden. Sie haben sich auch freie Tage und gemeinsame Zeit mit ihren Liebsten verdient.
Zumal Adam zum ersten Mal einen Liebsten hat, mit dem er gern allein Zeit außerhalb der Arbeit verbringen möchte.
Irgendwo im Haus schlägt krachend eine Tür ins Schloß und grummelnd vergräbt Adam seine Nase tiefer im Kissenbezug. Er ist definitiv noch nicht bereit, die angenehme Wärme, die ihn umgibt, aufzugeben.
Schöner wäre es allerdings, wenn Leo sich wieder zu ihm unter die Decke schieben würde und sie noch für eine Weile hier liegen könnten. Sie haben ein freies Wochenende vor sich, ohne Verpflichtungen und Termine, und Adam hat nicht vor, dieses Bett oder die Wohnung vor Montag wieder zu verlassen. Vor allem würde er sich nicht zu einem von Leos endlosen Spaziergängen durch den grauen Januarmatsch bewegen lassen.
„Adam”, säuselt Leos Stimme weiter und nun streicht auch ein Finger sanft über seinen Nasenrücken, seine Wange hinauf in seine Haare. „Komm schon, mach deine schönen Augen auf.”
Adam versucht noch einen Augenblick länger sich schlafend zu stellen, doch das Lachschnauben kann er nicht länger unterdrücken. „Spinner”, nuschelt er verschlafen und öffnet die Augen.
Leos Gesicht schwebt nah vor seinen und er blitzt ihn vergnügt an, ehe er sich vorlehnt und Adam einen Kuss auf die Stirn drückt. „Schau mal aus dem Fenster”, flüstert er und strahlt ihn an.
Adam glaubt zwar nicht, dass der Anblick aus dem Fenster in den grauen Januarmorgen besser sein kann als auf Leos zufriedenes Gesicht und das liebevolle Lächeln, das sich darüber zieht.
Seufzend schiebt Adam sich auf die Ellenbogen und blickt über die Schulter zum Schlafzimmerfenster. Ein Stück grauer Himmel mit dichten Flockenflug zeichnet sich ab und erste Eisblumen bilden sich an den Rändern.
Schlagartig weicht der letzte Rest Müdigkeit und Adam stößt ein leises Oh aus. Seit Weihnachten haben sie Schneefall angekündigt, doch mit jedem Tag ohne weiße Pracht hat Adam die Hoffnung aufgegeben. Schnee hätte eh nur für Chaos auf den Straßen gesorgt und entspannt ist Auto fahren auch bei normalen Wetterverhältnissen nicht. Da ist es besser, dass der Schnee auf sich warten lässt.
Zumindest hat Adam es versucht sich einzureden, um seine Enttäuschung abzumildern. Er mag den Winter mit Schnee. Eine ruhige und friedliche Schönheit legt sich über die Natur und vergräbt allen Schmerz unter einer weißen Decke. Früher hat Adam sich gewünscht, dass sie ihn mit begraben würde. Einfach verschwinden, bis die Frühlingssonne den Schnee vertreibt und alles neu erwacht.
Leos warmer Körper schiebt sich an ihn und der leichte Duft nach Schlaf und Pfefferminzzahnpasta steigt Adam in die Nase.
„Schön, oder?“, raunt Leo an seinem Ohr und Adam dreht den Kopf, um Leos Profil zu sehen.
„Wunderschön“, antwortet er und meint nicht nur allein den Tanz der dicken Flocken vor dem Fenster. Auch im Winter ist Leos Haut leicht gebräunt, da er viel draußen unterwegs ist, um jeden raren Sonnenstrahl einzufangen. So weiß wie Adam ist würde man ihn vermutlich im Schneetreiben draußen gar nicht mehr sehen.
Lächelnd reckt Adam sein Kinn und haucht einen Kuss auf Leos leicht stoppelige Wange, was Leo ein glückliches Brummen entlockt. Gerade als Adam überlegt, wie er Leo von einer weiteren Kuschelrunde im Bett überzeugen kann, lehnt sich sein Freund zum Nachttisch hinter sich.
„Hier, es ist soweit.“
Mit einem Kuss auf das Stück nackte Haut unter dem Kragen von Adams Shirt schiebt Leo einen Umschlag in Adams Schoß.
JANUAR prangt in Leos ordentlicher Schrift auf dem Kuvert und schlagartig ist Adam wacher.
Er hat das Geheimnis um die Kiste mit den Umschlägen fast schon wieder vergessen. Zwar steht die Kiste gut sichtbar auf dem kleinen Sideboard im Wohnzimmer, doch nie wäre Adam auf die Idee gekommen, ohne Leos Erlaubnis nachzusehen. Leo ist der Überraschungsmoment wichtig und auch wenn Adam in seinem Leben vor allem genug böse Überraschungen hatte, vertraut er Leo und seinen Ideen und übt sich in Geduld.
„Na mach’ schon auf”, drängt Leo ungeduldig und stupst ihn mit der Schulter an. Nicht ganz sauber reißt Adam die Klebelasche auf und zieht einen Bogen Papier heraus, auf dem er wieder Leos Handschrift erkennt.
Wir holen unsre Schlitten raus und laufen in den Wald hinaus
Und dann bauen wir den Schneemann vor der Tür
„Was?”
Adam zieht fragend die Stirn kraus und sieht zu Leo, der aufgeregt an seiner Unterlippe nagt.
Auch wenn er selbst als Kind nie Kinderlieder hat hören dürfen, ist ihm der Text geläufig. Man mag es zwar nicht von ihm denken, doch hat Adam einen guten Draht zu Kindern. Leos Nichten lieben ihn und auch die Kindern von seinen Berliner Freunden hatten sich über Onkel Adam gefreut und ihn in Beschlag genommen, wenn er zu Besuch war.
Vielleicht würden Leo und er es im Sommer endlich mal nach Berlin schaffen; er vermisst die Racker fast mehr als die dazugehörigen Elternteile.
„Wir gehen rodeln!”
Leo springt vom Bett und hält Adam die Hand hin. Seine Wangen sind vor Freude gerötet und der Anblick verschlägt Adam einen Augenblick lang die Sprache.
„Rodeln?”
Adam hat in seinem ganzen Leben noch nie auf einem Schlitten gesessen. Onkel Boris hat es ihm zwar jeden Winter versprochen, sich aber dann doch dem Befehl des Königs gebeugt und Adam zum Dauerlauf durch den Schnee mitgenommen, statt mit ihm zu einem der Rodelberge zu fahren.
„Rodeln!”, bestätigt Leo mit einem nachdrücklichen Nicken. „Und anschließend aufwärmen bei heißem Kakao mit Marshmallows!”
Leo dreht sich vom Bett weg und öffnet den Kleiderschrank. Auf dessen Boden liegt ein Vakuumbeutel, den er nun aufs Bett neben Adam hievt und die Luft entweichen lässt. Zum Vorschein kommen zwei Skianzüge, von denen einer noch nagelneu aussieht. Leo reicht ihm den neu aussehenden.
„Probier‘ mal an. Er müsste dir passen. Mir war er etwas zu lang und zu klein.”
Adam lässt seine Hand über den dicken Stoff gleiten, der leise unter seinen Fingerspitzen knistert. „Ich könnte doch auch einfach in Jeans–”
„Nein!”, unterbricht Leo ihn energisch, während er aus einem anderen Schrankfach Pullover und Hosen nimmt und sie vor Adams Bett legt. „Du ziehst was Warmes an. Nicht, dass du mir am Ende durchgefroren bist, weil du unvernünftig warst.”
Adams Herz schwillt um eine Größe größer an und scheint vor Gefühlen überzulaufen. Womit hat er Leo in seinem Leben verdient, der sich Dinge überlegt, die für sie beide eine schöne Erinnerung werden würden? Der sich um ihn sorgt und ihm das Gefühl von Geborgenheit und Liebe gibt, das ihm sein Leben lang gefehlt hat?
Er schluckt gegen den schweren Kloß in seiner Kehle an und greift nach Leos Händen, als dieser an ihm vorbei aus dem Zimmer gehen will. Adam ignoriert das Ziehen in seinen Knien, als er sich auf die Matratze kniet und die Arme über Leos Schultern legt.
„Ich liebe dich, Leo”, sagt er mit rauer Stimme und legt all die Gefühle, die sein Inneres zum Überlaufen bringen, in den Kuss.
„Ich dich auch, Adam”, seufzt Leo und lehnt seine Stirn gegen Adams. “So sehr.”
Sie verharren eine Sekunde lang in der Gegenwart des anderen und Adam hat fast schon vergessen, dass Leo Pläne für sie hat, bis dieser sich von ihm löst, ihm eine vorwitzige Strähne aus der Stirn streicht und ihn ein letztes Mal küsst.
„Aber jetzt komm! Sonst ist der Hügel zu voll mit kleinen Kindern!”
Adams ganzer Körper schmerzt auf eine gute Art und Weise, als er abends ins Bett fällt.
Sie haben den ganzen Tag auf dem Hügel unweit ihres Wohnblocks verbracht und irgendwann hat Adam aufgehört zu zählen, wie oft sie ihn hinunter gerodelt und wieder hinaufgeklettert sind. Mal zusammen, mal einzeln. Mit einem frechen Zehnjährigen hat Adam sich ein halsbrecherisches Rennen geliefert, das er ganz klar für sich entschieden hat.
So viel gelacht und sich so leicht gefühlt hat Adam sich schon lange nicht mehr. Vielleicht hat er das auch nie. Er weiß nicht, wie sich eine unbeschwerte Kindheit anfühlt und auch wenn er heute einen Eindruck davon bekommen hat, ist er dennoch ein erwachsener Mann, dessen Kindheit alles andere als unbekümmert gewesen ist.
Bevor sie sich am späten Nachmittag trotz Schneekleidung durchgefroren, müde und hungrig wieder nach Hause gegangen sind, haben sie in einem Anflug von kindlichem Übermut im Vorgarten ihres Wohnhauses einen Schneemann gebaut, der nun Adams alten Schal und einen zerbeulten Kochtopf von Leo trug. Morgen würden sie Möhren besorgen, damit der lustige Geselle noch eine Nase bekommt.
Und vielleicht, wenn der Schneesegen sich länger hält, würden sie noch weitere bauen.
Adam hat ein Bild von einem Schneemann, der Gewichte stemmt, in seinem Social Media Feed gesehen und ihn mit einem vergnügten Lachen Leo gezeigt. Bestimmt würden sie noch weitere finden und den Vorgarten mit ihnen bevölkern.
Der heiße Kakao und das Curry, das Leo ihnen gekocht hat, hat ihn Adam von innen gewärmt, während er an Leo gekuschelt von außen wieder aufgewärmt wurde und sie im Schein der Lichterkette vor dem Wohnzimmerfenster dem Tanz der Flocken beobachteten.
Adams Wangen haben von dem Dauerlächeln, das auf seinem Gesicht gelegen hat, geschmerzt und am liebsten hätte er diesen Moment in einer Flasche verkorkt und für die Ewigkeit aufbewahrt. Falls es noch mal dunkle Tage in seinem Leben geben sollte, könnte er sich an dieser Erinnerung wärmen.
Nun liegen sie im Bett, das Licht bereits gelöscht und doch kann Adam sehen, dass Leo ihn noch aus kleinen Augen anschaut.
„Hattest du einen schönen Tag?”
Leo klingt schon ganz verwaschen vor Müdigkeit. Vorsichtig streckt Adam eine Hand unter seiner Decke hervor und streicht Leo über die Stirn.
„Der schönste Tag seit langem”, erwidert er leise in die Stille der Nacht.
Zufrieden seufzend kuschelt Leo sich tiefer in sein Kissen und tastet nach Adams Hand, mit deren Fingern er seine verschränkt.
„Dann ist ja gut”, nuschelt Leo und kurz darauf hört Adam die tiefen, gleichmäßigen Atemzüge.
„Ich liebe dich”, flüstert Adam, ehe auch die Augen schloss.
Er ist sich sicher, dass die anderen Ideen für dieses Jahr genauso toll werden.
Chapter 3: Februar: Es ist nicht leicht ein Narr zu sein
Summary:
Das Kapitel, in dem Leo einen Preis gewinnen will und Adam sich dafür nur zu gern verkleiden lässt.
Notes:
Hier kommt das Februar-Kapitel und ich sag's wie es ist: Ich habe mit dieser jecken Jahreszeit nichts, aber auch gar nichts am Hut. Ich finde es beeindruckend, wie vielerorts Leute darin aufgehen, aber meins ist es nicht. Seht es mir daher nach, wenn ich regionale Unterschiede nicht getroffen habe.
Ich wünsche euch viel Spaß beim Lesen und Feiern, wenn ihr das denn tut ;)
Besten Dank auch meine Herzensmenschen, die beim Brainstormen geholfen haben <3
Chapter Text
Februar: Es ist nicht leicht ein Narr zu sein
Ich wollte mich gerne verkleiden
Und will wie die Narren es treiben
Ich suchte mir passende Sachen
Man sollte mal über mich lachen
Ich öffnete Kisten und Kästen
Und wühlte in Lumpen und Resten
Ich plünderte unsern Kleiderschrank
Und lachte mich über mich selber krank
(Es ist nicht leicht ein Narr zu sein - Rolf Zuckowski)
„Und ihr wollt da wirklich im Partnerkostüm auflaufen?“
Caro klingt genauso skeptisch wie Adam sich bei dem Gedanken gefühlt hat, als Leo ihm seine Idee für den Februar präsentiert hat. Auf der Fastnacht-Feier des Präsidiums im Partnerkostüm aufzulaufen steht eher auf seiner Not-To-Do-Liste.
Und da sie langsam besser in ihrer Kommunikation wurden, hat er seine Zweifel gegenüber Leo auch artikuliert und gut begründet, doch sein Freund hat nach ganz miesen Tricks gespielt und den Welpenblick aufgesetzt, dem Adam schon vor ihrer Beziehung nichts hat abschlagen können.
Adam beschleicht der Gedanke, dass Leo das von langer Hand geplant hat und die ganze Idee mit der Box nur das Ziel hat, ihn zu Dingen zu bewegen, die er sonst freiwillig nicht machen würde. Kurz hat er korrigieren wollen, dass er alles lieben würde, was Leo für sie plant.
Nur wenn er ganz ehrlich zu sich ist und seine antrainierte „Ich bin viel zu cool dafür“- Haltung, die ihn vor allem in jungen Jahren vor Enttäuschungen bewahren sollte, beiseiteschiebt, freut er sich darauf, sich mit Leo zu verkleiden und auch äußerlich zu zeigen, dass sie zusammengehören und als Team funktionieren.
„Natürlich. Das beste Kostümpaar gewinnt auch einen Preis“, erwidert Leo und zieht die Kisten zu sich, den Caro auf den Esstisch gehievt hat und in dem sich ein regelrechter Kostümfundus der Hölzer Geschwister befindet. „Dieses Jahr überlasse ich den nicht Kowalski und Spenglmayer von den Streifenhörnchen.“
Adam findet, Leo hätte der Preis schon letztes Jahr zugestanden. Zwar hatte er selbst sich geweigert zur Feier zu gehen, aber definitiv interessiert die Bilder im Intranet begutachtet. Leo als sexy Teufel hatte ihm einige unruhige Nächte beschert, wo er seine Seele nur allzu gern verkauft hätte. Nur gibt es den kleinen Plastik-Pokal nur für Partnerkostüme und Leo ist chancenlos gewesen.
Eben jenes Teufel-Kostüm zieht Leo gerade wieder hervor und mustert es kritisch.
„Das kann ich nicht noch mal bringen“, stößt er seufzend aus und Adam zuckt mit den Schultern.
„Wenn ich als Engel gehe, würde das doch passen.“
Der kritische synchrone Blick der Geschwister lässt Adam grinsen.
„Bei deinem Heiligenschein würde doch ständig das Kontrolllämpchen blinken”, wirft Caro ein und erntet einen Stoß mit dem Ellenbogen von Leo.
Adam zuckt lediglich mit den Achseln und wirft ihr eine Kusshand zu. Zwar hätte er ihr lieber in aller Freundschaft den Mittelfinger gezeigt, aber die Anwesenheit von Leos Nichten im Raum bremst ihn. Er will es sich nicht mit Caro verscherzen und ihren Töchtern rüde Gesten beibringen, würde definitiv nicht auf Gegenliebe stoßen.
Leo schüttelt den Kopf und stopft das Kostüm zurück in die Kiste. „Nein, die Kollegen haben mich darin schon gesehen. Es muss etwas Originelleres sein, was zu uns beiden passt.”
„Was ist mit dem Krankenschwesterkostüm?”, fragt Caro mit einem diabolischen Grinsen und Leos Ohren werden flammend rot. Kurz flackert sein Blick zu Adam, der neugierig den Hals reckt, ob er nun das besagte Kostüm aus der Kiste zieht.
Er würde ja gern aufstehen, um selbst einen Blick in den Fundus zu werfen, aber er ist seit ihrem Eintreffen auf einem viel zu kleinen rosanen Hocker verbannt und lässt sich von Leos jüngster Nichte Lina mit Tee aus Puppentassen bewirten, während die ihre große Schwester Tess sich an seinen Haaren zu schaffen macht. Mittlerweile klemmt ein Diadem schmerzhaft auf seinem Kopf und sie fährt ihn mit einem schrecklich parfümierten Pinsel durchs Gesicht, als würde sie ihn schminken.
„Caro, das ist eine Fastnacht-Feier mit Kollegen. Da kann ich das nicht anziehen”, zischt Leo und wirft einen verstohlenen Blick zu Adam in die Ecke, ob die Kinder auch nichts von ihrem Gespräch mitbekommen und ob er sich nachher nur mit Adams Neugierde auseinandersetzen muss.
Adam hat Fragen, viele Fragen und eine davon ist, ob sie das Kostüm mitnehmen können. Wenn er es sich recht überlegte, fühlt sich sein Hals etwas kratzig an und da würde er sicherlich ein wenig krankenschwesterliche Pflege gebrauchen.
Seine Gedanken, die definitiv in keine jugendfreie Richtung gehen, werden von Tess unterbrochen, die den Pinsel absetzt und zu ihrem Onkel hinüberblickt.
„Ihr feiert Fastnacht, Onkel Leo?” In ihrer Stimme schwingt so viel kindliche Begeisterung mit, die Adam auch gern spüren würde.
„Ja, wir brauchen aber noch ein Kostüm”, erklärt Leo ihre Misere und lächelt sie an. „Also der Adam und ich.”
„Geht doch als Anna und Elsa. Lina und ich leihen euch das Kostüm”, kommt es in der Inbrunst der Überzeugung, wie sie nur von einer Sechsjährigen kommen kann.
Adams Mundwinkeln zucken belustigt und er kann nur mit Mühe ein schallendes Lachen herunterschlucken. Tess meint den Vorschlag ernst und über die Ideen von Kindern lacht man nicht, egal wie abstrus sie auch sein mögen und wie wenig sie zu Adams Vorstellung passen.
Zu seiner Überraschung ist es Caro, die ihrerseits in lautes Gelächter ausbricht und zu Adams weiterer Verwunderung läuft Leo noch röter an.
„Das hatten wir schon! Weißt du noch Tess? Die Feier im Kindergarten vor zwei Jahren!”
Angestrengt scheint Tess nachzudenken, ihre Stirn und Nase ist krausgezogen, als sie erst ihre Mutter und dann ihren Onkel fragend anschaut.
Lina, die mittlerweile das Interesse am Puppenservice verloren hat, versucht sich an Adams Knie auf dessen Schoß zu ziehen. Adam legt den Arm stützend um sie und zieht sie hoch, bis sie bequem an ihn gelehnt sitzt und nach den bunten Bändern greift, die von Adams Diadem herunterhängen. Den Rest der Familie scheint sie komplett auszublenden, während sie leise vor sich hinbrabbelt und immer schwerer gegen ihn wird. Vermutlich würde sie bald einschlafen, so klein wie ihre Augen schon sind und Adam sieht sich länger auf diesen unbequemen Hocker festgesetzt, wenn er erstmal die schlafende Lina im Arm hat.
„Onkel Leo war Anna. Erinnerst du dich?” Caro kommt mit gezücktem Handy auf sie zu und scheint ein Beweisfoto zu suchen. Leos schwaches “Caro” ignoriert sie gekonnt und grinst nur noch breiter.
Neugierig macht Adam den Hals lang, doch Caros Absicht ist nicht, das Bild zuerst ihrer Tochter als Erinnerung zu zeigen, sondern hält Adam das Handy hin.
Adam beißt sich auf die Unterlippe, um das schallende Lachen zu unterdrücken. Auf dem Foto tanzt Leo mit Tess in einem perfekten Anna-Kostüm inmitten anderer Kinder durch einen Turnraum. Das Kleid spannt etwas an seinen breiten Schultern und es sieht aus, als könnte diese Anna eine ganz Rentierherde allein stemmen. Doch das zufriedene Lächeln auf Leos Gesicht, während er mit Tess im Elsa-Kostüm tanzt, lässt ihn jeden Spott runterschlucken. Leo ist ein toller Onkel, der Beste, den sich ein Kind nur wünschen kann und Adam liebt diese Seite an ihm.
„Mit der Anna würde ich mich glatt sehen lassen.“
Er zwinkert Leo zu, der ihn ungläubig anstarrt.
“Das passt doch dann! Onkel Leo als Anna, weil er ja die dunklen Haare hat und Adam hat helle Haare wie Elsa!”, wirft Tess begeistert dazwischen und strahlt ihren Onkel an. Energisch schüttelt Leo den Kopf.
“Am Ende bestelle ich uns doch noch diese Leberkäs-Kostüme, die ich letztens in der Werbung gesehen habe, bevor wir als Anna und Elsa gehen.”
Tess verzieht den Mund und in ihre Augen steigen Tränen. Adam reicht die fast eingeschlafene Lina, die sich an seine Brust gekuschelt hat, an ihre Mutter und zupft Tess am Ärmel ihres Pullovers, bis er ihre Aufmerksamkeit hat.
„Weißt du, Tess. Dein Vorschlag ist echt toll, aber vermutlich sind sehr viele auf dem Fest Anna und Elsa. Da würden Leo und ich gar nicht auffallen. Und wir wollen doch gewinnen, das verstehst du, oder? Das hat nichts mit deinem Vorschlag zu tun, der ist ganz toll und das können wir ja ein anderes Mal mit euch gemeinsam machen, was meinst du?“
Ein leises Schniefen kam von Tess, doch sie nickt und wendet sich der Puppenküche zu, während Adam sich mit einem Ächzen vom Hocker in eine aufrechte Position schiebt und zu Leo tritt, der nach wie vor am Esstisch steht. Sein Blick ist zerknirscht auf seine Nichte geheftet, die ihrer imaginären Tee-Party nachzuschenken scheint und wieder vergnügt, wie vor dem kleinen Zwischenfall wirkt. Caro ist mit Lina auf dem Arm verschwunden und sie hören sie leise im Nebenzimmer mit ihrer Jüngsten sprechen.
„Hey Leo”, lenkt Adam sanft die Aufmerksamkeit seines Freundes auf sich und legt die Arme um seinen Hals.
Verlegen sieht Leo zu ihm auf. „Ich hätte Tess’ Idee nicht so abschmettern sollen”, murmelt er. „Das war nicht fair ihr gegenüber.”
„Es ist alles gut, Leo”, versichert Adam ihm und streicht durch die kurzen Haare in Leos Nacken.
Leo schüttelt jedoch den Kopf und lässt sich ein wenig gegen Adam fallen. “Ja, weil du so toll mit ihr bist und die Situation abgeschwächt hast, bevor sie eskalieren konnte.”
Adam zuckt mit den Schultern. Im Beruf würde man ihm nicht zwangsläufig nachsagen, dass Deeskalation sein Steckenpferd ist, das ist viel eher Leos Metier.
Wenigstens mit Leos Nichten scheint Adam etwas richtig zu machen und das ist am Ende das Wichtigste. Leo liebt seine Familie, seine Eltern, Caro und ihren Mann und seine Nichten. Adam will alles richtig machen, damit er hier reinpasst und irgendwann ein Teil dieser Familie sein darf.
„Sie lieben dich trotzdem. Du bist immerhin ihr Onkel.”
Und seinen Onkel liebt man, egal ob es der richtige Onkel ist oder nur der Verbrecherfreund des Vaters. Man liebt ihn auch dann noch, wenn er einem im Knast die Finger bricht und droht, ihn dort versauern zu lassen, wenn er nicht verrät, wo das Geld ist. Liebe ist oft nicht rational, wie Adam bitter lernen musste.
Nur weiß er, dass er für Leos Nichten der beste Nicht-Onkel sein würde, die sie sich wünschen konnten und alles, was Boris für ihn nicht gewesen ist. Vorausgesetzt, Leos Familie lässt ihn diesen Platz einnehmen.
„Dich lieben sie doch auch schon und du bist nicht ihr biologischer Onkel.”
Leos Stimme ist leise und sticht zielsicher in die Blase der Unsicherheit, die ihn gerade noch ausgefüllt und seinen Platz in Leos Familie infrage stellen lassen hat. Bei Leo klingt es, als würde er sich diese Gedanken gar nicht machen.
Lächelnd nickt Leo zu seiner Nichte, die die Tee-Party aufgehoben hat und mit einem Buch in der Hand auf sie zukommt.
„Onkel Leo, Adam - lest ihr mir was vor?”
„Siehst du”, flüstert Leo an Adams Ohr und drückt seine Hand kurz. Adam schluckt schwer und nimmt das Buch entgegen, das Tess ihm hinhält.
„Das macht Onkel Leo bestimmt. Er ist der beste Vorleser, den ich kenne!” Er zwinkert Tess zu, die begeistert nickt.
„Stimmt! Liest er dir auch manchmal vor?”
Adam kann das zweideutige Grinsen nicht unterdrücken, als er zu Leo schaut, der warnend die Augenbrauen hebt.
„Manchmal, aber vor allem die Leviten.”
„Levi…was?” Tess zieht die Stirn kraus und Leo schüttelt hastig den Kopf. Er zwickt Adam in die Seite, als er an ihm vorbei zur Couch geht.
„Adam hat einen Scherz gemacht. Komm, ich lese dir vor!”
***
„Wir brauchen aber immer noch ein Kostüm”, sagt Leo später mit einem Seufzen, als sie die Kostümkiste wieder in Caros Keller tragen und im Regal verstauen.
Im Geschwisterlichen Fundus sind sie nicht fündig geworden, auch wenn Adam jetzt eine grobe Vorstellung davon hat, wie Caro und Leo als Erwachsene Fastnacht gefeiert haben und wie sie vermutlich halb Saarbrücken den Kopf verdreht haben. Wenn er es geschickt anstellt, würde er vielleicht einige der eher freizügigen Kostüme von Leo noch mal am Modell und ganz privat betrachten dürfen. Viel bleibt nicht der Fantasie überlassen und Adam ist nur allzu gern bereit, die Lücken mit eigenen Ideen zu füllen.
„Wir können uns ja als der jeweils andere verkleiden”, meint Adam mit einem Schulterzucken und geht voran die Kellertreppe hinauf.
„Das ist es!” Leos Hand landet auf seinem Arm und hält ihn zurück. “Das ist eine geniale Idee!” Leo eilt die zwei Stufen zu Adam hinauf und drückt ihm einen festen Kuss auf den Mund.
Etwas perplex sieht Adam Leo nach, der immer noch breit grinsend wieder in den Flur tritt. So toll findet er seine Idee gar nicht. Zumal er sich das Brustpolster von Superman ausleihen müsste, um halbwegs überzeugend Leo zu mimen. Er wird es verhindern wissen, dass Leo sich seine schönen dunklen Haare blond färbt. Einer mit Haarfärbeunfällen reicht in dieser Beziehung.
„Bist du dir sicher, dass das so eine gute Idee ist? Ist das nicht ein wenig langweilig, wenn du als ich gehst?”, fragt Adam skeptisch nach, doch Leos Strahlen lässt ihn schnell verstummen.
„Wer sagt denn, dass wir als der jeweils andere gehen?”
***
Als Kowalski und Spenglmayer ihnen zwei Wochen später zähneknirschend die Trophäe für das beste Partnerkostüm überreichen, muss Adam sich nachträglich zu der Idee gratulieren, auch wenn die Umsetzung anders gelaufen ist als von ihm gedacht.
Er blickt hinüber zu Leo, der zufrieden die Trophäe in seinen Händen dreht. Die dunkelblonde Perücke steht ihm wider Erwarten und die bunte Sportjacke lässt ihn jünger aussehen. Sein Blick gleitet weiter zu ihren beiden Kolleginnen und trifft auf Esthers mürrischen Gesichtsausdruck, der ihn breiter grinsen lässt. Er wackelt mit den Hüften und der Schlag der dunkelblauen Wide Leg Hose umspielt dabei seine Beine. Die schwarze Bluse, die Caro ihm geliehen hat, ist vielleicht im Allgemeinen etwas zu kurz, aber sie komplettiert seinen Esther Baumann-Look.
Allein für den seltenen Augenblick der Sprachlosigkeit, als Leo und er als Pia und Esther verkleidet auf der Party aufgetaucht sind, kann er das Jucken unter der dunklen Perücke ignorieren.
Und noch viel mehr ist das alles egal, wenn er Leo so zufrieden und glücklich, wie in diesem Moment sehen kann. Vielleicht denkt Leo wirklich, dass es hier nur darum geht, Adam schöne Erinnerungen an eine verlorene Kindheit zu geben, doch er weiß, dass Leo sich früher ebenso sehnlich einen Freund für all diese Momente gewünscht hat.
Dieser kann er nun sein und noch vieles mehr.
Chapter 4: März: Das Wetter spielt wieder mal verrückt
Summary:
Das Kapitel, in dem Adam März-Blues schiebt, mit Leo im Regen tanzt und am Ende eine Überraschung bekommen.
Chapter Text
März: Das Wetter spielt wieder mal verrückt
Das Wetter, das Wetter
Spielt wieder mal verrückt
Man könnte verzweifeln
Wenn man hinauf zum Himmel blickt
Wir hätten so gerne
Ein bisschen Sonnenschein
Wie kann man nur so launisch
Wie das Wetter sein?
(Das Wetter - Rolf Zuckowski)
Adam kennt viele Arten von Regen.
Den Monsunregen in Thailand, der ihn binnen weniger Sekunden bis auf die letzte Kleidungsschicht durchnässte. Das Trommeln des Regens auf das Dach der Holzhütte in den Rocky Mountains oder das Prasseln auf das Blätterdach des Regenwaldes in Brasilien.
Er hat gesehen, wie Menschen den ersten Regen nach einer langen Trockenzeit mit Festen willkommen hießen, sich von ihrer Freude anstecken ließen und gelernt, den Regen ebenso wie den Sonnenschein zu lieben.
Nur in Saarbrücken war der Regen immer trostlos – wie der Wärter seiner Gefängniszelle. Regnete es, konnte er nicht ins Baumhaus und zu Leo. Der Regen sperrte ihn in der Betonhölle ein und lieferte ihn dem Monster darin aus. Oft hatte Adam es als das kleinere Übel empfunden, wenn er zu stundenlangen Märschen im Regen gezwungen wurde und unterkühlt zurückkam. Wenigstens dann hatte er für ein paar Tage Ruhe.
Adam hatte gehofft, dass sich das Gefühl der Regentage nach seiner Rückkehr nach Saarbrücken ändern würde und die guten Erinnerungen an Regen die schlechten überdecken könnten.
Wie sehr er sich doch getäuscht hat – der Regen hier ist immer noch so grau wie in seiner Jugend. Es wurde erst besser, als er Leo wieder näherkam und den Platz an dessen Seite einnehmen durfte.
Leos Wohnung, in der Adam zwar auch wohnt, die er aber immer noch als Leos ansieht, ist gemütlich und bietet Schutz. Normalerweise lassen sich Regentage hier wunderbar aushalten – wenn er sich an Leo kuscheln kann, während sie einen Film schauen oder jeder in einem Buch versinkt.
Ausgerechnet heute ist Leo mit seiner Schwester zu einem Brunch verabredet – eine seltene Gelegenheit, da sie beide unter der Woche nur selten gemeinsam einen freien Tag haben, um sich ohne Partner und Kinder zu treffen.
Adam gönnt ihnen diese Auszeit, doch so bleibt er allein mit dem Märzregen vor dem Fenster und den Gedanken in seinem Kopf.
Da hilft auch nicht Leos Kuscheldecke, die er sich vom anderen Ende der Couch geklaut und in die er sich wie ein menschlicher Burrito gewickelt hat. Der beruhigende Duft nach Leo lässt das Gedankenkarussell nur bedingt langsamer werden, und auch das Vormittagsprogramm der Öffentlich-Rechtlichen, das Leo so liebt und für das Adam nur ein müdes Lächeln übrighat, verstärkt eher seine Sehnsucht nach seinem Freund.
Ohne Leo macht es nur halb so viel Spaß, sich über die einfallslosen Geschichten deutscher Krankenhausserien aufzuregen. Ganz zu schweigen vom Desaster der deutschen Vorabendkrimis, die Leo nur deswegen schaut, weil er sich leidenschaftlich über die unrealistische Darstellung der Ermittlungsarbeit aufregen kann. Adams vorsichtige Einwände, dass auch ihre Arbeit gelegentlich, wie ein Sonntagabendkrimi auf Außenstehende wirken könnte, werden meist mit einer wegwerfenden Handbewegung abgetan.
Kurz hat Adam überlegt, auf seinen freien Tag zu pfeifen und ins Büro zu fahren. Irgendwo würde sich schon unerledigter Papierkram finden, auch wenn Leo ihm sonst normalerweise mit Liebesentzug drohen muss, damit er seine Berichte pünktlich und in angemessener Form fertigstellt. Allerdings befürchtet Adam, dass Leo zu drastischeren Mitteln greifen würde, wenn er spitzkriegt, dass Adam sich über den verordneten Ausgleichstag hinwegsetzt.
Einen schief hängenden Haussegen kann Adam nicht gebrauchen. Zwar mag er Leos Wohnung – ihre Wohnung –, doch sie bietet im Ernstfall nicht viele Rückzugsmöglichkeiten. Es ist ohnehin erstaunlich, wie wenig sie sich auf die Nerven gehen, seitdem sie nicht nur zusammenarbeiten, sondern auch zusammenwohnen. Adam kennt seine Qualitäten als Mitbewohner – und seine Berliner Referenzen sind diesbezüglich nicht die besten. Gerade in seiner Anfangszeit – und wenn er ehrlich mit sich ist, auch in der Zeit vor seiner Beziehung mit Leo – konnten sie nicht lange miteinander aushalten, ohne über grundsätzliche Dinge zu streiten.
Von Streit kann mittlerweile kaum noch die Rede sein, und mit Leo fällt es Adam auch bedeutend leichter, seinen Pflichten im Haushalt nachzukommen und kein Chaos zu hinterlassen, wo er geht und steht. Ob das allein an Leo liegt oder daran, dass er zum ersten Mal das Gefühl hat, angekommen zu sein, lässt sich nicht so genau sagen. Vermutlich ist das ohnehin nicht wichtig, solange das Bedürfnis in Adam schweigt, wieder fortlaufen zu wollen.
Nur im Moment würde er alles dafür geben, wenigstens um den Block gehen zu können, um die Unruhe loszuwerden, die er ohne Leo verspürt – und ärgert sich im selben Augenblick darüber, dass er es nicht einmal einen Vormittag ohne seinen Freund aushält. Adam wollte nie so emotional abhängig von jemandem werden, doch mit Leo ist so vieles anders – und gleichzeitig so richtig –, dass es Adam ängstigen sollte.
Tut es allerdings nicht. Wo, wenn nicht bei Leo, ist er in Sicherheit?
Und einen Vormittag wird er schon ohne Leo aushalten. Irgendwie. Vielleicht macht er gleich die Wäsche, obwohl noch nicht Freitag ist, oder räumt den Keller auf, in den sie Adams wenige Habseligkeiten recht lieblos gestopft haben.
Das Öffnen der Wohnungstür lässt Adam ruckartig den Kopf heben. Leo ist gerade mal drei Stunden weg gewesen – ausreichend Zeit für einen Brunch mit Caro –, allerdings hatte Adam nicht damit gerechnet, ihn vor den nächsten zwei Stunden wiederzusehen.
Er lauscht den vertrauten Geräuschen im Flur, als Leo die Jacke ablegt und die Schlüssel in die kleine Tonschale auf dem Schuhschrank wirft. Die Wohnzimmertür öffnet sich, und Adam reckt den Kopf, um über die Sofalehne zu Leo zu spähen, der mit verschränkten Armen und einem warmen Lächeln am Türrahmen lehnt.
„Das ist meine Decke“, sagt er mit einem Kopfnicken in Adams Richtung, der die Decke fester um sich zieht.
„Tja, und du warst nicht da.“ Adam zieht die Decke bis zur Nasenspitze und versucht, besonders elendig auszusehen. „Du wolltest mich ja allein zurücklassen. Dann wundere dich nicht, wenn ich mir einen Ersatz suche.“
„Ich sehe meinen Fehler, ja.“ Leo stößt sich vom Türrahmen ab und kommt auf das Sofa zu. „Ich hätte nur nicht gedacht, dass ich so schnell ersetzt werde.“
Er stützt sich mit einem Arm auf der Rückenlehne und mit dem anderen neben Adam ab, sodass die Muskeln und Venen an seinen Armen besonders hervortreten und Adams Blick automatisch anziehen. Leo weiß nur zu gut, dass gerade seine Arme es Adam besonders angetan haben – weil er sich in ihnen so sicher und geborgen fühlt. Und weil Leos Stärke heiß ist; da ist Adam halt auch nur ein Mann. Wenn ihm die Vorzüge seines Partners so nah vor Augen geführt werden, kann es ihm keiner verübeln, schwach zu werden.
„Vielleicht“, beginnt Adam und schält sich ein Stück weit aus der Decke, „nicht unbedingt ersetzen. Eher ein Trost, weil das Original nicht verfügbar war?“ Er öffnet die Decke einladend und schaut zu Leo auf, dessen Augen belustigt funkeln.
Leo schwingt sich mit einem Augenrollen über die Lehne und schiebt sich vorsichtig neben Adam, der die Decke über sie beide ausbreitet. Mit Leos schwerem und leicht kühlem Körper auf seinem merkt Adam, wie es in seinem Kopf langsam zur Ruhe kommt. Er riecht den Regen in Leos Haaren, den Kaffee und die liebliche Süße von süßem Gebäck.
Zufrieden seufzend zieht er Leo näher an sich und lehnt seinen Kopf gegen seinen. Der Märzregen vor dem Fenster scheint mit einem Mal nicht mehr so trist wie noch vor ein paar Minuten.
„Was machst du aber schon hier?“, fragt Adam in die angenehme Stille. „Ich habe nicht vor dem frühen Nachmittag mit dir gerechnet.“
Leo dreht sich in seinem Arm ein Stück, damit er zu ihm aufsehen kann. „Ich habe dich vermisst.“
Leos Ehrlichkeit ist entwaffnend und lässt Adams Herz vor Liebe anschwellen. Er lehnt sich lächelnd für einen Kuss vor. „Caro wird uns das wahrscheinlich ewig vorhalten, oder? Dass wir nicht mal einen Vormittag voneinander getrennt sein können?“
„Vielleicht, aber ich finde, wir waren in unserem Leben schon viel zu lange voneinander getrennt.“
Adam versteift sich unter Leos Worten, und die Kälte des Märztags kehrt mit einem Schlag zurück.
Leo flucht leise und richtet sich auf. „So war das nicht gemeint, verzeih. Ich habe nur das Gefühl, dass das Vermissen schlimmer ist, wenn ich weiß, dass du auf mich wartest und ich gerade nicht bei dir bin.“
Er sucht nach Adams Hand und drückt sie sanft. „Außerdem will ich dir was zeigen.“
Etwas enttäuscht sieht Adam dabei zu, wie sein Freund über ihn hinweg von der Couch klettert und ihm die Hand hinhält. Adam murrt ein wenig, lässt sich jedoch mitziehen. Als würde er Leo nicht sowieso überall hin folgen, wenn sich die Gelegenheit ergibt.
Auf dem Schuhschrank steht die Kiste mit den Umschlägen, und Adams Herz macht einen aufgeregten Hüpfer, als Leo ihm eines der Kuverts reicht.
Willst du mit mir im Regen tanzen?
„Was… wie?“ Im Regen tanzen? Metaphorisch oder im wahrsten Sinne? Eigentlich hatte es nicht auf Adams Liste für den weiteren Tag gestanden, die Wohnung zu verlassen. Schon gar nicht, wenn er Leo früher als erwartet zurückbekommt und sie die gewonnene Zeit sinnvoller – und vor allem im Schlafzimmer – verbringen könnten.
Leo öffnet den Garderobenschrank, in dem sie die Jacken aufbewahren, die gerade nicht zur Jahreszeit passen – auch wenn Adam immer noch schmollt, wenn er seine liebste Jeansjacke dort so allein hängen sieht. Für Jeansjacken ist es doch nie zu kalt, zumindest wenn es nach ihm geht.
Die zwei gelben Friesennerze, die sein Freund ihm nun unter die Nase hält, sieht Adam zum ersten Mal. Genau wie die passenden Mützen und die Gummistiefel.
Etwas verlegen lächelt Leo ihn an. „Zu einem richtigen Tanz im Regen gehört das passende Outfit!“
Für einen Moment kann Adam seinen Freund nur wortlos anstarren. In seinem Inneren fliegen die Schmetterlinge wild durcheinander, schlagen kräftig mit ihren Flügeln und hinterlassen ein Kribbeln, das seinen ganzen Körper ausfüllt.
Mit einem großen Ausfallschritt ist er vor Leo, nimmt dessen Kopf zwischen seine Hände und zieht ihn für einen stürmischen Kuss an sich. Leos Atem ist heiß auf seinen Lippen, er schmeckt den Kaffee, den er vorhin nur an ihm gerochen hat, und diesen eigenen Geschmack, den nur Leos Küsse haben. Adam würde es nie laut aussprechen, aber so muss Liebe schmecken.
„Du bist bekloppt“, flüstert er und küsst Leo gleich noch einmal, dessen Wangen einen sanften Pinkton bekommen haben.
„Du kommst also mit?“ Leos Augen schimmern hoffnungsvoll und voller Wärme, sodass Adam unter keinen Umständen hätte Nein sagen können. Mit Leo würde sich selbst der kälteste Märzregen wie ein warmer Sommerschauer anfühlen.
Der Staden ist bis auf vereinzelte Fußgänger mit Hunden, die wie der sprichwörtliche begossene Pudel aussehen, verwaist. Auf den sandigen Wegen stehen Pfützen, und Leo muss Adam gar nicht erst lange bitten, bevor er mit ihm hineinspringt, sodass der Schlamm und das Regenwasser nur so spritzen und die gelben Gummistiefel in kürzester Zeit das abstrakte Abbild eines Leopardenfells tragen.
Adam hofft, dass sein Vater ihn aus der Hölle so sehen kann – wie er gelöst und mit kindlicher Freude, die ihm in jungen Jahren nicht vergönnt war, Hand in Hand mit seinem Freund durch den Regen tanzt. Wie Leo ihn von Zeit zu Zeit an sich zieht, seine Lippen warm im Gegensatz zum kalten Regen, und mit diesem Lächeln, das tausend Sonnen blass aussehen lässt.
„Ich habe noch eine Überraschung für dich“, keucht Leo atemlos, als sie die Freitreppe zum Tbilisser Platz hinaufstolpern, die klammen Finger miteinander verwoben. Der Regen hat mittlerweile nachgelassen, und die ersten Sonnenstrahlen versuchen sich aus den Lücken der grauen Wolkendecke hervorzuschieben. Und selbst wenn es immer noch wie aus Eimern schütten würde – nichts könnte Adams Freude trüben, mit der er Leo durch die Gassen über den Sankt-Johanner-Markt folgt, bis sie vor einem Gebäude mit Gründerzeitfassade stehen bleiben.
Ein kleines Café fällt ihm ins Auge, in dessen Schaufenster er ein breites Kuchenangebot erspäht, das ihm das Wasser im Mund zusammenlaufen lässt. Definitiv eine gute Überraschung, denn Adam hat nach dem Rumtoben im Regen Hunger – und Kuchen geht bekanntlich immer.
So kann er den kleinen Stich der Enttäuschung nicht verbergen, als Leo ihn statt ins Café zum Eingang daneben zieht und einen Schlüssel aus seiner Jackentasche hervorkramt.
Das Treppenhaus ist ein wenig heruntergekommen, und die Stufen, die sie erklimmen, sind ausgetreten. Leo behält die Augen starr nach vorne gerichtet und weicht bewusst Adams fragendem Blick aus, den dieser ihm auf jedem weiteren Treppenabsatz zuwirft. Erst unter dem Dach bleiben sie vor einer braun gebeizten Wohnungstür stehen. Das Namensschild über der Klingel ist unbeschriftet, auch liegt kein Schmutzfänger vor der Tür oder irgendein Anzeichen, wer hier wohnt.
Adam erschließt sich nicht, was sie hier wollen könnten und warum Leo überhaupt einen Schlüssel hat. Keiner aus seiner Familie wohnt hier, und auch keiner aus ihrem recht übersichtlichen Freundeskreis. Es kann also nicht einmal sein, dass sie hier sind, um Blumen zu gießen oder eine Katze zu füttern. Falls doch, müsste Adam mit Leo noch einmal über die Definition von Überraschungen sprechen – und welche Erwartungen diese in ihm auslösen.
Leos Hände zittern, als er die Tür aufschließt und den Blick auf eine auf den ersten Blick unbewohnte Wohnung freigibt. Der Flur ist lang, die weißen Wände frisch gestrichen. Helles Fischgrätenparkett zieht sich, soweit Adam von der Tür aus sehen kann, durch die gesamte Wohnung. Trotz des Märzgraus ist die Wohnung hell und freundlich, und Adam fühlt sich unpassenderweise sofort heimisch.
Zögerlich folgt er Leos Beispiel, der sich die schmutzigen Schuhe von den Füßen streift. Kurz flackert Leos Blick unsicher zu Adam, als würde er sich auf etwas gefasst machen, das in dieser Wohnung auf sie lauert. Seine Finger nesteln am Bündchen des Friesennerzes und knibbeln daran herum.
Mit einem leisen Seufzen greift Adam nach Leos Hand und bewahrt somit wenigstens einen Ärmel vor der Zerstörung durch einen nervösen Leo.
„Was machen wir hier, Leo?“, fragt er sanft und streicht über die kalte Hand in seiner.
„Ich…“, setzt Leo an und leckt sich über die Lippen, ehe er weiterspricht. „Caro und ich waren heute nicht nur brunchen – also doch schon, aber nur kurz. Danach waren wir hier.“
Adam zieht die Stirn kraus und sieht sich um.
Geradeaus vom Flur geht ein großer Wohnbereich ab, mit bodentiefen Fenstern und einem großzügigen Balkon. Eine kleine Tür auf der linken Seite führt vermutlich ins Bad, und zwei Flügeltüren auf der rechten Seite öffnen sich zu weiteren Räumen. Auf den ersten Blick ein Traum von einer Altbauwohnung, nach der sich manche Leute die Finger lecken würden.
Nur versteht er nicht, warum Leo und Caro sich für die Wohnung interessieren. Seine zukünftige Schwägerin hat ein entzückendes Einfamilienhaus, nicht weit von Leos und ihrem Elternhaus entfernt – mit großem Garten und viel Platz für die Kinder. Was will sie mit einer Stadtwohnung?
Neben ihm holt Leo zitternd Luft, und für einen Moment versteift sich seine Hand in Adams.
„Es könnte unsere Wohnung sein. Wenn du magst.“
Adams Kopf ruckt zu Leo herum, der die Schultern schützend hochzieht und den Blick senkt. Sicherlich würde er auch seine Hand wegziehen, wenn Adam sie nicht noch fester umklammern würde.
Unsere Wohnung.
Das hier könnte Leo und seine Wohnung werden. Hell, freundlich und groß genug, dass sie sich auch mal aus dem Weg gehen könnten, wenn sie es wollten.
Adams Herz scheint unter der Wucht der Gefühle fast zu zerbersten, und er zieht Leo mit sich in den ersten Raum.
Ein großer Raum mit viel Licht und Blick auf Baumkronen eröffnet sich vor ihm. Durch die Verbindungstür kann er den nächsten, noch größeren Raum sehen.
Er lässt Leos Hand los und stemmt stattdessen seine in die Hüften, während er sich prüfend umsieht.
„Da kommt ein Gästebett hin.“ Er nickt mit dem Kopf zur Wand gegenüber der Verbindungstür. „Und unter das Fenster ein großer Schreibtisch, falls wir mal Homeoffice machen.“ Sein Blick gleitet prüfend die hohen Wände entlang. „Umrahmt wird das Ganze von einer riesigen Bücherwand. Dann müssen deine Bücher nicht mehr im Keller oder bei deinen Eltern verstauben.“
Der Dielenboden knarrt einladend, als Adam den Nachbarraum betritt. „Platz genug für einen dieser fancy Einbauschränke und ein großes Bett. Und natürlich für deinen Dschungel – da können es sogar noch mehr Pflanzen werden.“
Adam dreht sich nach Leo um, der immer noch im anderen Raum steht und ihn mit offenem Mund anstarrt.
„Was?“, fragt er mit breitem Grinsen und sieht Leo herausfordernd an.
„Du bist nicht böse, dass ich die Wohnung allein ausgesucht habe?“
Kurz hört Adam in sich hinein, sucht die leise Stimme des Zweifels, die ihm sagt, dass das hier zu viel ist. Er findet sie jedoch nicht. Da ist nur eine neue Ruhe, die ihn überkommt, bei dem Gedanken, dass dies ihr neues, ihr gemeinsames Zuhause wird. Ein Zuhause voller Wärme und Liebe, das er als Kind – und auch bis vor Leo – nicht kannte.
Er geht langsam zurück zu Leo, der ihn mit großen Augen unsicher ansieht. Zärtlich legt Adam die Hände an Leos Wangen und schiebt sie von dort nach hinten in seinen Nacken, um ihn besser an sich ziehen zu können.
„Ich liebe dich, Leo Hölzer, weißt du das?“
Leo nickt matt, den Blick fest mit Adams verschränkt. „Und ich dich, Adam Schürk“, flüstert er mit belegter Stimme.
„Sehr gut.“ Adam lehnt sich vor und presst seine Lippen fest auf Leos, der mit einem Seufzen den Kuss erwidert.
„Wann können wir einziehen?“, fragt Adam ein wenig atemlos, als sie sich nach Stunden – die vielleicht auch nur Sekunden gewesen sind – wieder voneinander lösen.
„Die Vermieterin ist eine Kollegin von Caro. Wir können sofort unterschreiben und zum nächstbesten Termin einziehen.“ Ungläubig strahlt Leo ihn an, die Lippen und Wangen rot vom Küssen und der Wärme zwischen ihnen.
„Na dann, ist es beschlossen“, grinst Adam und zieht Leo in seine Arme. Gegen die Fenster trommelt der Märzregen, und Adam findet, dass man nicht zwangsläufig wirklich nach draußen muss, um die Schönheit eines Tanzes im Regen zu spüren.
Manchmal findet man sie auch im Warmen und Trockenen – in den Armen der Person, die man am meisten liebt.
Chapter 5: April: Jetzt kommt die Osterzeit
Notes:
Trotz Karfreitag schon mal: Frohe Ostern!
Zwar hat dieses Kapitel nicht der Osterhase gebracht, thematisiert wird er trotzdem.
Ich war leicht entsetzt, dass der Eiertrudel-Spaß meiner Kindheit eher ein regionales Ding ist. Es wird also Zeit, diese Tradition in die Welt zu tragen.
Ich wünsche euch viel Spaß!
Chapter Text
April: Jetzt kommt die Osterzeit
Vom Ostereiermalen
Und von der Farbenpracht
Die aus dem trüben Wintergrau
Den neuen Frühling macht
Vom Frühlingskinderlachen
Das aus den Fenstern klingt
Und in die Häuser ringsherum
Das helle Leben bringt
(Jetzt kommt die Osterzeit - Rolf Zuckowski)
„Nicht da, Tess. Das ist nicht für dich.”
Leos Nichte lässt mit einem genervten Aufstöhnen die Zweige des Holunderbusches wieder sinken und setzt ihre Suche fort.
Es ist Ostersonntag im Garten der Hölzer Seniors und Adam lehnt neben Leo an das Verandageländer gestützt und beobachtet die fröhliche Ostereiersuche mit einer Tasse Kaffee in der Hand.
Die Aprilsonne scheint kräftig von einem kornblumenblauen Himmel, streichelt warm über Adams nackte Arme und kitzelt seine Nase. Adam fühlt sich so entspannt und zufrieden wie schon lange nicht mehr. Das wechselhafte Frühlingswetter scheint endlich der Vergangenheit anzugehören und die Vorboten des Sommers halten Einzug. Die Kisten mit den warmen Wintersachen hat Adam zumindest bereits tief in ihrem neuen Keller vergraben und plant sie frühestens im November wieder hervorzuholen.
In zwei Wochen würde ihr Umzug sein. Auch wenn Adams Habseligkeiten in einen Wanderrucksack und eine Kiste passen, gibt es bei Leo deutlich mehr, das aussortiert und verpackt werden muss. Mittlerweile haben sie auch schon einen Großteil der Möbel, die sie nicht mit in die neue Wohnung nehmen würde, über Kleinanzeigen verkauft. Die Kommunikation mit potenziellen Käufern hat Adam übernommen und verfügt nun über reichlich abstruse Anekdoten mit den merkwürdigsten Leuten. Leos alte Wohnzimmerschrankwand, die er einst als Übergangslösung von seiner Tante für seine erste Wohnung bekommen hat, haben sie zur Selbstabholung eingestellt und vermerkt, dass es ratsam sei, das Ungetüm zu zweit abzuholen.
Es hätte Adam nicht verwundern sollen, dass am Tag der Abholung ein schmächtiger Mann um die Zwanzig vor ihm stand, der dieses wichtige Detail überlesen hat. Entgegen seiner Vorsätze hat Adam ihm schließlich doch geholfen, das sperrige Teil nach unten zu tragen - dafür das Doppelte des ausgemachten Preises als Entschädigung bekommen. Beklagen würde er sich darüber nicht.
Jede freie Minute haben sie in den letzten Wochen in den bevorstehenden Umzug gesteckt - vor allem weil Leo die Osterfeiertage mit seiner Familie und Adam verbringen wollte, ohne dabei gedanklich in einer der beiden Wohnungen zu hängen.
Und das hat auch gut geklappt, wie Adam findet. Seit gestern sind sie bei Leos Eltern und haben das Gästezimmer bezogen. Zwar liegt Leos Elternhaus nur zwanzig Autominuten von ihrer derzeitigen Wohnung entfernt, doch Adam hat schnell erkannt, wie erholsam es ist, nicht zwischen gepackten Kisten schlafen zu müssen. Mechthild lässt auch keine Gelegenheit aus, sie zu umsorgen, und gegen so viel mütterliche Fürsorge kann Adam sich kaum wehren. Sie ist ihm zwar fremd und er ertappt sich dabei, darüber nachzudenken, was er als Gegenleistung erbringen muss, aber allmählich lässt auch diese Anspannung nach. Mechthild erwartet nichts von ihm, außer dass er sich von ihrem Essen ein zweites Mal auftut und nichts fällt Adam leichter.
Am Nachmittag des Karsamstags ist dann Caro mit den Kindern aufgeschlagen und der große Esstisch im Wohnzimmer ist im kreativen Chaos verschwunden. Buntes Tonpapier, alte Papprollen, Malkästen, Pinsel und ein großer Korb voller gefärbter Eier ließen nicht nur die Augen von Tess und Lina strahlen. Zunächst etwas zögerlich hat Adam sich von Tess auf einen Stuhl schieben lassen. In seiner Kindheit hatte es Bastelnachmittage wie diesen nicht gegeben. Vielleicht noch im Kindergarten, aber keinesfalls Zuhause mit seiner Mutter. Es gab auch keine Ostergeschenke gegeben, nicht mal Süßigkeiten oder ein buntes Ei.
Weihnachten war die Ausnahme gewesen - wenn sein Vater befand, dass Adam sich das Jahr über gut gemacht hatte. Die Geschenke waren funktional: neue Laufschuhe, Gewichte oder ein Taschenmesser. Nichts, was sich ein normaler Jugendlicher zu Weihnachten wünscht. Nur war Adam auch kein normaler Jugendlicher gewesen. Sein größter Wunsch - bis zu dem Tag seiner Flucht aus Saarbrücken - war es gewesen, in einer Familie wie Leos leben zu können.
Dieser Wunsch hat sich nun, nach all den Jahren, endlich erfüllt.
Für einen Moment hat Adam gegen die aufkommenden Tränen kämpfen müssen, bis Tess ihm freudestrahlend ein Ei und Stifte zugeschoben und ihm gezeigt hat, wie er die Eier bemalen solle. Adams Blick glitt über den Tisch zu Leo, der sie mit einem versonnenen Lächeln betrachtete, ein Ei vor sich, den Pinsel mit grüner Farbe in der Hand ganz vergessen. Ein grüner Farbklecks zierte seinen Bart und die Nasenspitze. Adam musste ein Foto machen, um diesen Moment für die Ewigkeit festzuhalten.
Konzentriert bemalte Adam Ei für Ei – erst mit einfachen Punkten, dann mit abstrakten geometrischen Formen. Zum Schluss verewigte er jedes Familienmitglied – sogar Esther und Pia – auf einem Ei. Adam findet, mit genug Fantasie könne man die Personen durchaus erkennen. Doch Tess tätschelte ihm bloß den Arm und lobte ihn in einem übertrieben gutmütigen Tonfall, den sie sich offensichtlich von Caro abgeschaut hatte. Empört blickte Adam ihr hinterher, als sie neben ihm vom Stuhl sprang und hinaus in den Garten rannte, wo Lina schon eine ganze Weile mit ihrem Opa im Sandkasten spielte. Basteln hatte sie nur kurz interessiert.
Wenigstens Leo wusste seine Künste zu schätzen - auch wenn das vermutlich nicht viel hieß. Leo lobte ja auch seine katastrophalen Berichte. Liebevoll schlang Leo von hinten die Arme um Adam. Über seine Schulter hinweg betrachtete er die Eierfamilie, seufzte schwer und hauchte Adam einen Kuss auf die Schläfe – seine Lippen verweilten einen Moment länger dort. Adam ließ sich in die Berührung fallen, umfasste Leos Unterarme und versuchte, der Welle an Gefühlen standzuhalten, die ihn in diesem Augenblick überrollte. Zum ersten Mal erfährt Adam, was es heißt, eine Familie zu haben – eine, in der er geliebt wird und in der er Liebe zurückgeben darf.
„Hey!“ Leo stupst ihn sanft an und reißt Adam aus den Erinnerungen an den Vortag. Er blinzelt kurz in die Sonne, ehe er sich zu seinem Freund dreht. „Woran hast du gerade gedacht? Du wirkst so weit weg.“
Adam lehnt sich zu Leo und gibt ihm einen kurzen Kuss auf die Lippen, die nach Kaffee und Schokotorte schmecken, ehe er seine Stirn gegen Leos sinken lässt.
„An dich und wie glücklich ich mit dir und deiner Familie bin”, gesteht er leise und mit zittriger Stimme.
Leo schluckt schwer - Adam kann das Geräusch des Kloßes in Leos Hals förmlich hören. Seine Finger beben ein wenig, als er eine Strähne aus Adams Stirn streicht. „Unsere Familie, Adam. Das ist jetzt auch deine.”
Hinter seinen Augenlidern beginnt es zu brennen, und Adam kneift die Augen fest zusammen, um die Tränen der Rührung zurückzuhalten. „Meine Familie”, murmelt er und Leo nickt.
Schniefend löst er sich von Leo, der ihn ebenso wässrig anlächelt, wie Adam es vermutlich gerade tut. Leo verschränkt ihre Hände miteinander und drückt sie behutsam und versichernd - und Adam wünscht sich, dass dieser Tag nie vergehen würde.
Ein lautes, freudiges Juchzen von Lina lenkt ihren Blick wieder auf die Ostereiersuche im Garten.
Lina, die ihre Schwester aufmerksam beobachtet und jedes Versteck ansteuert, von dem Tess von ihrer Mutter oder ihren Großeltern verscheucht wird, hält mit einem breiten Grinsen einen bunten Osterkorb in die Höhe.
„Ganz toll gemacht, Schatz!” Caro reckt beide Daumen in die Höhe und nimmt ihrer Jüngsten den Fund ab, während diese sich wieder an die Fersen ihrer Schwestern heftet.
Adam versteckt sein breites Grinsen hinter seiner Kaffeetasse. Lina war eindeutig zu clever für ihr Alter, wie sie sich an Tess’ Fersen heftet und jedes Versteck untersucht, von dem ihre Schwester zuvor fortgeschickt wurde.
Caro seufzt theatralisch und schüttelt ungläubig den Kopf.
„Lina ist wie du, Leo. Du bist mir früher auch nachgelaufen und kamst dir ganz schlau vor.”
Feixend zuckt Leo mit den Schultern. „Ich wusste halt schon damals, dass man einfach nur Verdächtigen folgen muss, um an die Beute zu kommen.”
Zu Adams Unglück hat er just in diesem Augenblick einen großen Schluck aus seiner in Vergessenheit geratenen Kaffeetasse genommen - den er nun prustend auf dem Rasen der Hölzers verteilt. Hustend ringt er nach Luft und ist dem kräftigen Klopfen von Leo zwischen seinen Schulterblättern dankbar.
„Geht’s?” Um Leos Mundwinkel zuckt es belustigt und das Blitzen in seinen Augen verrät Adam, dass sein Freund sich über den Effekt seines Witzes freut.
Nickend stellt Adam die Kaffeetasse auf dem Gartentisch hinter sich ab und hustet noch einmal, bis auch das letzte Kratzen im Hals von der fehlgeleiteten Flüssigkeit verschwunden ist.
Leos Hand liegt immer noch auf seinem Rücken und fährt in kleinen Kreisen über ihn. Am liebsten würde Adam seinen Rücken rund wie eine Katze machen, um sich den warmen Berührungen entgegen recken zu können. Er könnte ewig hier stehen, Leos Wärme neben sich, das fröhliche Treiben um sie herum und die tiefe Ruhe in sich drin.
Vorhin hat er einen Blick auf die prächtige Schokoladentorte werfen können, die Mechthild Hölzer zur Feier des Tages gebacken hat und ihm lief das Wasser im Mund zusammen. Dabei liegt das Mittagessen noch keine Stunde hinter ihnen und die Dorade auf einem Gemüsebett mit Rosmarinkartoffeln, die Leo zubereitet hat, ist ein Gedicht gewesen und Adam leckt sich immer noch die Finger danach.
Leos Atem kitzelt in seinem Nacken, als dieser einen kurzen Kuss auf das Stück freie Haut unter seinem T-Shirt kragen haucht. Eine angenehme Gänsehaut breitet sich auf Adams Arm aus und er dreht das Gesicht zu Leo, in Hoffnung, sich auch einen Kuss stehlen zu können. Jedoch scheint Leo etwas anderes im Sinn zu haben und entzieht sich mit einem Grinsen Adams Lippen.
“Magst du nicht auch mal mit dem Suchen anfangen?”, sagt er und nickt zum Garten, wo Tess und Lina sich mittlerweile durch die Brombeersträucher schlagen, obwohl Adam sich ziemlich sicher ist, dass dort keine Osternester versteckt worden sind.
Adam zieht die Augenbrauen zusammen, sein Blick wandert langsam zu Leo. „Suchen?”
„Beweismittel sichern, Spuren suchen…nenn es wie du willst”, feixt Leo und löst sich von Adam.
Adam blinzelt, einmal, zweimal. „Du willst, dass ich Ostereier suche?”
Er starrt Leo an, als hätte der gerade vorgeschlagen, dass er mit Esther ja mal einen Wellnesstag verbringen kann. Einen Augenblick lang sagt er nichts, in seinem Kopf überschlagen sie die Gedanken auf der Suche nach einer möglichen Erklärung für Leos Worte.
Dann entweicht ihm ein trockenes, beinahe ungläubiges Lachen. Das konnte Leo nicht ernst meinen. Er hat doch nicht wirklich Ostereier für Adam versteckt?
Leo rollt mit den Augen und stupst ihn leicht mit der Schulter.
„Na los. Heißer Tipp: Such auf Augenhöhe.“
Zögerlich folgt Adam Leos Anweisung – und dem aufmunternden Nicken – und tritt auf die Rasenfläche. Auf Augenhöhe suchen.
Prüfend lässt er den Blick schweifen. Er kann das. Hinweise suchen ist sein Job, auch wenn er seit dem Wechsel nach Saarbrücken und zu Leo, in die komfortable Situation gekommen ist, dass meistens Leo vorgeht und Adam nur als Nachhut folgen muss.
Wenn das hier also ein Tatort wäre und Leo nicht einfach zu folgen eine Option, wie würde er vorgehen? Was hat er von seinem Praxisanleitern in Berlin gelernt?
Er würde sich in den Täter hineinversetzen und seine Gedanken, seine Entscheidungen rekonstruieren.
Der Täter in seinem persönlichen Osterfall: Leo.
Also sollte er anfangen, wie Leo zu denken.
Rasch wirft er einen Blick zurück zu Leo, der sich von Lina den Inhalt ihres Osternests zeigen lässt und kurz von Adam abgelenkt ist.
Wo würde Leo etwas verstecken, das Tess und Lina nicht zufällig entdecken und ausplaudern könnten? Eigentlich hätte er den Tipp mit der Augenhöhe gar nicht gebraucht – er wäre früher oder später selbst darauf gekommen.
Zwei mögliche Verstecke auf Augenhöhe drängen sich auf: das Dach des Gewächshauses und die alten Obstbäume im hinteren Teil des Gartens. Die Frage ist nur: Welches würde Leo wählen? Vermutlich eins mit Bedeutung, etwas, das sie beide verbindet.
Das Gewächshaus? Eher nicht. Es wurde erst im letzten Frühjahr gebaut. Adam erinnert sich daran, wie Leo sich über den komplizierten Aufbau und die beiden linken Hände seines Vaters beschwert hatte – sie saßen an jenem Montag nach Feierabend auf Leos Couch und haben Takeaway vom Asia Imbiss gegessen. Damals waren sie noch in der vorsichtigen Phase der Wiederannäherung, weit entfernt von dem, was sie heute sind. Adam bezweifelt, dass Leo diesem Moment so viel noch beimisst.
Die Obstbäume dagegen standen schon in Adams Kindheit dort. Unzählige Nachmittage hatten sie zwischen den Ästen verbracht, um die reifen Kirschen direkt in ihren Mund zu ernten und Adams permanenten Hunger etwas zu lindern. Adam erinnert sich an das Gefühl von Leichtigkeit – und an den Wunsch, nie wieder vom Baum herunterzukommen.
Auch wenn Leo nie erfahren hat, was damals in ihm vorging, ist sich Adam sicher, dass er wohl eher dort fündig wird.
Ein ungläubiges Raunen von den Hölzers begleitet ihn und er meint ein leises “Wusste ich’s doch” von Caro zu hören, als er zielstrebig zu den Bäumen geht.
Und tatsächlich – in der Astgabel des alten Kirschbaums sitzt ein Osterkörbchen. Nicht ganz auf Augenhöhe, wie Adam kritisch bemerkt, aber nah genug. Der Hinweis hat sich gelohnt.
Er angelt das Körbchen herunter und kehrt strahlend zu Leo zurück.
Der liebevolle, weiche Blick seines Freundes lässt Adams Herz schneller schlagen – und seine Knie für einen Moment weich werden.
Aus dem Augenwinkel sieht er Caro mit den Augen rollen und Leos Eltern verzückt grinsen. Anscheinend stecken die drei mit Leo unter einer Decke – oder waren zumindest eingeweiht.
„Fall gelöst, Beute sichergestellt“, verkündet Adam triumphierend und hält das Körbchen hoch.
„Und wie immer ohne Schutzhandschuhe“, murmelt Leo und schüttelt den Kopf.
Adam zwinkert ihm zu, den Kopf leicht geneigt.
„Also alles wie immer?“
Leo seufzt gespielt dramatisch.
„Ich bin ja wirklich beeindruckt, wie überlegt du an die Suche rangegangen bist. Ich hatte da kurz meine Zweifel, wenn ich dich sonst über Tatorte stolpern sehe.“
Bevor Adam empört widersprechen kann, zieht Leo ihn zu sich heran und küsst ihn – und Adams Knie geben endgültig nach.
„Na los“, flüstert Leo an seinen Lippen und drückt einen letzten, festen Kuss auf sie, „sieh nach, was drin ist – du Meisterdetektiv.“
Sie lassen sich Seite an Seite auf die Stufen der Verandatreppe sinken, und Adam muss kurz tief durchatmen, um seinen aufgeregten Herzschlag zu beruhigen. Vorsichtig schiebt er das grüne Ostergras beiseite und entdeckt sieben bunt gefärbte Eier – jedes ein Ergebnis des gestrigen Nachmittags, wie er an den Verzierungen erkennen kann. Da liegen Eier mit symmetrischen Mustern neben solchen mit bunten, unkoordinierten Klecksen und Abdrücken kleiner Kinderhände.
„Jeder hat sein schönstes Ei für dich ausgesucht“, raunt Leo neben ihm, und Adam tastet mit bebenden Fingern nach seiner Hand. Leos Händedruck ist warm und fest, und Adam möchte ihn am liebsten nie wieder loslassen.
Neben den Eiern findet Adam auch reichlich Schokolade in dem Körbchen, die seinen arg geschrumpften Büro-Vorrat wieder aufstocken wird. Auf dem Boden des Korbes sieht er den mittlerweile gut bekannten Umschlag hervorblitzen. Er hätte es sich denken können, dass Leos April-Überraschung etwas mit Ostern zu tun haben muss. Dafür braucht es nicht einmal Leos messerscharfen Ermittlerverstand – nur die Tatsache, dass Adam Ostern nie mit der freudigen Aufregung eines Kindes verbunden hat.
Leos Bein drückt warm und fest gegen seines, und Adam erwidert den Druck ebenso versichernd. Oft brauchen sie keine Worte, um einander zu zeigen, dass sie da sind. Berührungen haben bei Adams Rückkehr besser funktioniert als große Worte – auch wenn Gespräche, wie sie sie letztes Jahr endlich geführt haben, ihnen viel Kummer erspart hätten.
Vielleicht hätte Adam all das hier schon viel früher haben können: eine friedliche Familie, in der Kinder behütet und mit Liebe aufwachsen – und in der niemand in Schränke gesperrt wird. Leos Eltern und Caro ergötzen sich nicht an traurigen Blicken, wenn der Osterhase nicht kam, und sie lachten ihre Kinder nicht hämisch aus, wenn sie danach fragten.
Hinter Adams Augenlidern brennt es verräterisch, und er dreht den Kopf leicht, um ihn an Leos Schulter zu vergraben. Er will diesen Moment nicht mit Tränen ruinieren, die aus altem Schmerz stammen. Sie passen nicht hierher – nicht in diesen wahr gewordenen Traum einer Familie, die Adam sich so sehr gewünscht hat.
Leos Hand schiebt sich tröstend in Adams Nacken, seine Finger kraulen sanft durch die Locken. Das leise Schniefen, das Adam nicht unterdrücken kann, quittiert Leo mit einem beruhigenden Brummen. Die andere Hand wandert um Adam und legt sich schützend um seine Mitte.
„Ich liebe dich, Adam. Habe ich das heute schon gesagt?“, flüstert Leo und drückt seine Lippen kurz auf Adams Scheitel. Die verräterischen Tränen stoppt das nicht – im Gegenteil. Stumm sickern sie in Leos Shirt, während dieser seinen Griff verstärkt. Selbst wenn Leo heute noch nicht verbal seine Liebe bekundet hätte – was er garantiert getan hat – weiß Adam, dass Leo ihn liebt. So sehr, wie Adam ihn liebt. Er zeigt es in kleinen Gesten: in Osterkörbchen, die in Kirschbäumen hängen, im Halten, wenn Adams Inneres zu voll wird und überläuft. Leo ist da – sein Mittelpunkt der Welt.
„Ich liebe dich auch, Leo.”, krächzt er heiser und schmiegt sich enger an Leo, der nach Kaffee, Sonne und Schokolade riecht.
Für eine Weile sitzen sie schweigend auf der Terrassenstufe und beobachten das rege Treiben im Garten.
Caro hat mit Tess das neue Federballspiel ausgepackt und hechtet den ersten unkoordinierten Versuchen ihrer Tochter hinterher. Thomas, ihr Mann, sitzt mit Lina am Rand des Sandkastens und testet die neuen Förmchen.
Mechthild ist ins Haus verschwunden – vermutlich, um neuen Kaffee zu kochen und die Torte anzuschneiden.
Wo Klaus, Hölzer Senior, steckt, kann Adam nicht auf den ersten Blick erkennen.
Hinter ihnen quietscht die Terrassentür, und Mechthild tritt mit einem großen Korb aus dem Haus. Leo seufzt ergeben beim Anblick seiner Mutter und des Korbs und schiebt Adam behutsam von seiner Schulter.
„Bist du bereit für den ultimativen Hölzer-Oster-Wahnsinn?“, fragt er mit ernster Miene.
Adam runzelt verwirrt die Stirn. Nach Wahnsinn sieht das hier nicht aus – eher nach einer dieser Bilderbuchfamilien, die unrealistisch glückliche Vorstellungen vom Familienleben wecken. Zumindest, wenn man in der Familie Schürk aufwächst.
„Was …“, setzt Adam zu einer Frage an, doch da tritt Klaus aus dem hinteren Gartenteil, und ein gellender Pfiff durchdringt die sonntägliche Ruhe.
„Alles, was Hölzer heißt, mal hieß oder mal heißen wird – antreten zum Eiertrudeln!“
„Eier-was?“ Adams gestammelte Frage geht in den lautstarken Begeisterungsrufen der vornehmlich jüngeren Hölzer-Generation unter, die auf ihren Opa zustürmt.
Leo rappelt sich auf und zieht Adam mit sich hoch, der noch immer verwirrt zu Klaus und den Kindern schaut, die sich jetzt um Mechthild und ihren Korb scharen.
„Eiertrudeln“, erklärt Leo grinsend. „Eine Tradition, die Papa mitgebracht hat, als er ins Saarland gezogen ist. Man rollt Ostereier einen Hügel hinunter – gewinnt, wessen Ei heil bleibt. Wir spielen das in mehreren Runden, und die Sieger treten solange gegeneinander an, bis einer übrig bleibt.“ Leo richtet sich stolz auf. „Die letzten Jahre war das immer ich.“
Adam starrt seinen Freund für einen Moment sprachlos an. Ostereier einen Berg hinunterrollen? So etwas Absurdes hat er noch nie gehört – und das, obwohl er schon beim Käserennen in Cooper’s Hill war.
Hoffentlich wird das hier nicht genauso skurril.
Leos Grinsen beginnt zu bröckeln, als Adams Schweigen länger andauert. Ein Hauch Unsicherheit flackert in seinen Augen.
„Also … du musst nicht mitmachen, wenn du das doof findest. Es zwingt dich keiner.“
Ein Ruck geht durch Adams Körper. Er greift schnell nach Leos Hand, bevor dieser sich zurückziehen kann.
Wenn es etwas gibt, das Adam nicht will, dann, dass Leo auch nur einen Moment lang denkt, er könnte irgendetwas doof finden, das mit seiner Familie – mit ihrer Familie – zu tun hat.
Er küsst Leo sanft und streicht ihm eine Strähne aus der Stirn.
„Du hast doch nur Angst, dass ich dich besiege, Hölzer.“
Leos Schultern entspannen sich sichtbar, und Adam kann regelrecht sehen, wie eine Last von ihm abfällt.
Das Strahlen auf seinem Gesicht macht der Sonne Konkurrenz – und das herausfordernde Blitzen in seinen frühlingsgrünen Augen raubt Adam für einen Moment den Atem.
„Das wollen wir doch erst mal sehen, Schürk.“
Am Ende kann Leo seinen Titel als Meister-Ostereiertrudler gegen Caro verteidigen, die auch im zweiten Jahr in Folge den zweiten Platz belegt – gefolgt von ihrem Vater mit Bronze.
Adam teilt sich mit Thomas den vierten Platz und findet, dass er sich für das erste Mal gut geschlagen hat.
Zumindest so gut, dass er nicht in die Kinderwertung eingeordnet werden muss – wie Leo es ihm nach seiner ersten Niederlage süffisant vorgeschlagen hatte.
Tess und Lina nehmen eher aus Spaß teil und gewinnen ihr kleines Duell gegen ihre Oma. Sowieso scheinen die beiden Jüngsten der Familie mehr am Verzehr der zu Bruch gegangenen Eier interessiert zu sein als am eigentlichen Wettkampf. Adam kann es ihnen nicht verübeln.
Ihr kleiner Siegeszug führt sie zurück vom Hügel hinter dem Haus der Hölzers in den Garten, wo Mechthild und Caro sich in die Küche verabschieden, um für Stärkung und Erfrischung zu sorgen.
Adam lässt sich mit einem Seufzen in den Gartenstuhl neben Leo fallen, der gerade eines seiner Wettkampf-Eier pellt.
Ein belustigtes Zucken umspielt Adams Mundwinkel, während er seinen Freund einen Moment beobachtet, wie er mit geübten Griffen die Schale entfernt. Langsam lehnt Adam sich zu ihm und flüstert mit betont rauer Stimme neben seinem Ohr:
„Eigentlich nicht verwunderlich, dass du gewonnen hast. Ich weiß ja, wie gut du mit Eiern umgehen kannst. Gibst du mir nachher Nachhilfe?“
Das Rot auf Leos Wangen geht fast ins Violette über. Adam sieht, wie er sich hastig die trockenen Lippen mit der Zungenspitze befeuchtet und seine Augenlider flackern.
Mit einem diabolischen Grinsen schiebt Adam seine Hand unter den Tisch auf Leos Oberschenkel und langsam in die Innenseite, woraufhin Leo unruhig auf dem Stuhl hin- und herrutscht.
Leo mag zwar der Meister-Ostereiertrudler sein, aber Adam hat seine ganz eigenen Tricks – und Leos glasiger Blick verrät ihm, dass er sich gerade nur zu gut daran erinnert.
Leo räuspert sich heiser und legt seine Hand auf Adams, um sie sanft wegzuschieben.
„Das bekommst du nachher wieder.“
Oh ja – auf diese Revanche freut Adam sich jetzt schon.
So kann Ostern gern jedes Jahr sein.
Chapter 6: Mai: Dies ist der Augenblick
Notes:
Willlkommen im Wonnemonat Mai und somit zum nächsten Kapitel, dass ich entgegen eigener Erwartungen noch fertigstellen konnte.
Ich danke euch für Kudos & Kommentare und hoffe, ihr habt viel Spaß mit diesem neuen Kapitel
Chapter Text
Mai: Dies ist der Augenblick
Ja, dies' Gefühl in mir
Wenn ich in deine Augen blick
Du weißt Bescheid, ich seh's dir an
Hast du gewusst, dass die Welt so hell sein kann?
(Die ist der Augenblick- Der kleine Tag [Musik Rolf Zuckowski])
„Adam?“, dringt es dumpf durch die Kopfhörer und die Musik zu dem Angesprochenen.
Adam blinzelt, stoppt die Musik und lässt den Akkuschrauber sinken, mit dem er gerade den letzten Regalkorpus an der Wand, befestigt hat. Es ist ein warmer Mai-Tag. Durch das geöffnete Fenster weht eine laue Brise herein und kühlt sein erhitztes Gesicht, das er an seinem T-Shirt trockenwischt.
Nie hätte er gedacht, dass Regale aufbauen eine so schweißtreibende Tätigkeit sein konnte. In Berlin hat er meist möblierte WG-Zimmer gehabt und sich nicht die Mühe gemacht, sie mit eigenen Möbeln zu bestücken. Zurück in Saarbrücken hat er die erste Zeit nicht mal gewusst, ob er es an dem Ort seiner Albträume überhaupt aushalten würde. Er hat in einem schäbigen Langzeithotel gewohnt, die gepackte Tasche immer neben der Tür, um jederzeit wieder verschwinden zu können.
Nach dem Knast war er eine Zeitlang bei Leo untergekommen, bevor er sich seiner Vergangenheit stellen musste und zurück zu seiner Mutter und in sein altes Jugendzimmer zog. Die kleine Wohnung danach, als alles auseinanderfiel und er das Experiment für gescheitert erklärte, war zwar gemütlich gewesen, doch auch nur eine Übergangslösung. Dort in seinen eigenen vier Wänden nach einer langen Zeit des Herumirrens, hat das mit Leo endlich angefangen und sie die letzten Hindernisse gemeinsam überwunden.
Und nun steht er hier in ihrem zukünftigen gemeinsamen Arbeitszimmer und montiert die Bücherregale, die bald Leos private Bibliothek und ein paar von Adams Schätzen beherbergen würden.
Er hat sich mehrmals während des Vormittags auf die Zunge gebissen und die wildesten Flüche heruntergeschluckt, wenn ihm eins der Bretter aus der Hand rutscht oder sein Daumen mit dem kleinen Gummihammer Bekanntschaft macht. Am liebsten hätte er seinem Unmut lautstark Luft gemacht, doch Leo sitzt zwei Türen weiter in ihrem komplett eingerichteten Wohnzimmer und nimmt an einer sterbenslangweiligen, aber äußerst wichtig klingenden Online-Tagung statt, von der Adam das Thema längst wieder vergessen hat.
Wenigstens haben sie Leo zugestanden, dass er daran von Zuhause teilnimmt, wenn er dafür schon einen Teil seines Urlaubs opfert, den sie eigentlich für die letzten Handschläge an der Wohnung nutzen wollten.
Leo hat das schlechte Gewissen ins Gesicht geschrieben gestanden, als er Adam mit den Möbelpaketen allein gelassen hat. Da hat auch der versichernde Kuss nicht viel ändern können und die Bekräftigung, dass Adam schon allein zurechtkommen würde, während sein Freund kompetente Dinge tat, wie nicht allzu gelangweilt in die Kamera zu blicken.
Anscheinend haben sie jetzt eine Pause, den Leo lehnt gegen den Türstock gelehnt und lässt seinen Blick durch das Arbeitszimmer wandern. Seinen alten Schreibtisch haben sie unter das Fenster geschoben, so dass sie beim Arbeiten den Blick in den Garten haben würden.
In der Ecke steht noch der Karton mit den Bauteilen des Gästebetts und der gesammelte Verpackungsmüll der Regal. Adam freut sich nicht unbedingt darauf, diesen nachher noch die Stockwerke nach unten zum Müllplatz zu tragen, wenn seine Arme sich jetzt schon wie Pudding anfühlen. Vielleicht bekommt er Leo dazu überredet, dass sie das abkürzen und Adam die Kartons aus dem Fenster in den Hof befördern konnte.
Seine Beine sind etwas wackelig, als er von der Leiter steigt und sich in Leos wartende Arme ziehen lässt.
„Du bist ja schon fertig“, murmelt sein Freund gegen seine Schläfe und platziert einen liebevollen Kuss auf der Haut.
Erschöpft lässt Adam seinen Kopf gegen Leos Schulter fallen und nickt. „Ich brauche aber dringend eine Pause.“
Vielleicht würde er später noch das Gästebett aufbauen. Dann wäre ein weiterer Raum ihrer Wohnung fertig und sie würden nur noch auf die Küchenbauer warten müssen, die ihre neue Küche aufbauen. An das Unterfangen haben sie sich beide nicht getraut. Für IKEA-Möbeln aufbauen reicht ihr handwerkliches Geschick, aber dann hört es auch schon auf.
„Mein armer Schatz!“ Leo drückt ihn an sich und seufzt schwer. „Allerdings wollte ich dich um etwas bitten.“
Leo klingelt ehrlich zerknirscht, dass Adam sich ein Stück löst, um ihm ins Gesicht blicken zu können. Die Unterlippe, an der er sonst so gerne saugt, um Leo die süßesten Geräusche zu entlocken, hat dieser zwischen seine Zähne gezogen.
Adam hebt seine Hand und streicht mit dem Daumen sanft über die malträtierte Unterlippe. „Was ist los?“
Es steht außer Frage, dass Adam ihm einen Wunsch abschlagen würde. Dafür schenkt Leo ihm jeden Tag so viel Liebe, wie er sie sich nie für sein Leben erträumt hätte.
„Caro hat mir geschrieben. Thomas ist verhindert, aber sie muss mit Lina für die nächste U zum Kinderarzt. Einer müsste Tess aus dem Kindergarten abholen.“ Er verzieht das Gesicht. „Leider ist die Pause gleich wieder vorbei. Könntest du das übernehmen?“
Adam zieht nachdenklich die Augenbrauen zusammen und legt den Kopf zur Seite. Er kennt sich mit diesem ganzen Verantwortungskram für Kinder nicht aus, doch etwas klingelt da in seinem Hinterkopf.
„Braucht es dafür nicht irgendwelche Vollmachten? Ich kann doch nicht einfach ein fremdes Kind aus dem Kindergarten abholen.“
Leos Mund formt sich zu einem überraschten O, ehe er sich zu einem breiten Lachen verzieht.
„Das hat Caro doch längst gemacht. Du musst nur deinen Ausweis mitnehmen.“
Für einen Moment hat Adam das Gefühl, als hätte ihm jemand die gesamte Luft aus den Lungen geboxt. Caro hat ihn längst bevollmächtigt ihre Kinder aus dem Kindergarten abholen zu dürfen? So oft haben sie sich doch noch gar nicht gesehen, seit Adam Teil der Hölzer Familie wurde.
Gerade mal ein Jahr ist das mit Leo und ihm offiziell und auch wenn sie versuchen, so oft wie möglich am Sonntag zum Kaffee bei Leos Eltern zu sein, sind da nicht immer auch Caro und ihre Familie dabei.
Es scheint ihm fast leichtsinnig, dass sie ihm die Verantwortung für ihre Kinder übertragen will-
„Hey!“ Leo streicht ihm sanft die Haare aus der Stirn. „Caro vertraut dir. Mach dir nicht zu viele Gedanken. Es wird schon gut gehen“ Er lehnt sich vor und drückt einen Kuss auf Adams Stirn.
Hinter Adams Augen brennt es verdächtig und er kneift sie hastig zusammen.
Das warme Gefühl in seiner Brust überfordert ihn. Es ist eine Sache, dass Leo ihm vertraut, und in ihrem Beruf ist das auch sofort immer mit dem Leben, aber dass sich dieses Vertrauen auch auf die restliche Hölzer-Familie erstreckt, hat er nicht erwartet. Nicht bei seiner Vergangenheit.
Er räuspert sich verlegen. „Okay, ich hole Tess ab.“
Leos Strahlen lässt die warme Kugel in seinem Inneren noch größer werden.
„Adam!“, jauchzt Tess erfreut und stürmt auf ihn zu. Ehe Adam sich versieht, hängt die Fünfjährige an seinen Hals und zieht sich in seine Arme hoch.
Das breite Lachen und die begeistert funkelnden grünen Augen hat sie definitiv von ihrer Mutter und ihrem Onkel.
„Schön, dass du mich abholst!“ Ihre Freude scheint ehrlich zu sein und sie vibriert förmlich in seinen Armen.
Eine junge Frau mit langer Strickjacke, eckiger Brille und unordentlichem Dutt auf dem Kopf tritt auf sie zu.
„Sie sind Tess' Onkel, richtig?“ Sie sieht ihn freundlich lächelnd an und Adams Wangen färben sich unter ihren Worten rot.
„Nun, ich bin nicht ihr Onkel, sondern…“
„Ja, das ist mein Onkel Adam! Er ist der Mann von meinem Onkel Leo!“, kommt ihm Tess zuvor und schmiegt sich an Adam, dem kurz die Arme weich werden.
Das Lächeln der Erzieherin wird noch eine Spur herzlicher.
„Ach das ist ja schön, dass ich Sie auch mal kennenlerne. Tess und Lina erzählen so viel von Ihren Onkels. Den Leo kenne ich, aber wir hatten noch nicht das Vergnügen.“
Adam schüttelt überrannt den Kopf. Leos Nichten erzählen im Kindergarten von ihm? Ja, er hat sich mittlerweile daran gewöhnt, dass die beiden sich freuen, wenn er mit Leo bei ihnen ist, aber dass sie ihm genug Platz in ihrem Leben beimessen, dass sie von ihm erzählen? Das hat er nicht erwartet.
„Auch wenn kein Zweifel an Ihrer Identität besteht, müsste ich trotzdem einmal Ihren Ausweis prüfen. Tess kann ja schon mal ihre Sachen holen, nicht wahr?“
Tess nickt begeistert und hüpft von Adams Arm wieder herunter, der mit zitternden Fingern nach seinem Geldbeutel in der hinteren Hosentasche tastet.
„Es ist immer schön, wenn Kinder mit so vielfältigen Familien- und Rollenbildern aufwachsen“, sagt die junge Erzieherin, als er ihr den Ausweis reicht. „Gerade Tess und Lina hat man in der Entwicklung angemerkt, dass da jetzt noch ein Familienmitglied ist, dass sie mögen.“
Adam hätte nicht gedacht, dass es mal eine Situation geben würde, in der ihm die Worte fehlen, doch in dem Augenblick kann er die Frau vor sich nur sprachlos anstarren. In seinem Inneren tobt ein Sturm, der droht ihn jede Sekunde mitzureißen.
Nur ist es kein negatives Gefühl, eher speist sich der Sturm aus dem Glück, das er gerade spürt.
„Schau mal, Adam. Das habe ich für dich und Onkel Leo gebastelt.“
Tess ist zurück und hält ihm etwas entgegen, das, wie ein platt gesessenes Toastbrot, an dem ein Faden zum Aufhängen befestigt wurde, aussieht.
„Wir haben die Tage mit Salzteig gearbeitet und Tess wollte unbedingt ein Türschild für ihre Onkel basteln. Bei den Namen haben wir ihr geholfen“, erklärt die Erzieherin das Bastelstück in Adams Hand.
Vorsichtig dreht Adam das Schild und blickt auf die Vorderseite.
Leo + Adam prangt es in schiffen Lettern neben einer Sonne, einem kleinen Haus und vielen Blumen. Man sieht dem Schild an, dass es ein Kind gebastelt hat und bei jedem anderen hätte Adam das Ergebnis vielleicht belächelt. Doch das hier ist Tess' Werk, weil sie ihren Onkeln - Mehrzahl! - eine Freude machen wollte.
Adam geht in die Hocke und zieht die gespannt wartende Tess in seine Arme.
„Dankeschön, das ist so lieb von dir“, versichert er ihr und meint es von Herzen.
„Für eure neue Wohnung, damit jeder gleich weiß, wer da wohnt“, erklärt Tess ihm und greift nach seiner Hand.
Adam nickt. Ja, das Schild würde er gleich zuhause anbringen.
Es soll auch ja jeder sehen, in dieser Wohnung Menschen mit einer liebevollen Familie leben.
“Leo?“, ruft Adam, als er am späten Nachmittag die Wohnung wieder betritt.
Er streift seine Schuhe von den Füßen und platziert sie ordentlich auf der Schmutzfangmatte. Seine Schlüssel landen am Schlüsselbrett.
Am Ende hat es doch länger gedauert, Tess bei ihren Eltern wieder abzuliefern.
Auf dem Weg zu Adams Auto, in das sie noch den Kindersitz verfrachtet haben, den Leo für den Fall der Fälle besitzt, hat Tess an seiner Hand gezogen und auf die Eisdiele gegenüber des Kindergartens gezeigt.
Wer eine Eisdiele in täglicher Sichtweite von Kindern eröffnete, muss Erwachsene sehr hassen, befindet Adam und lässt sich doch von Tess breitschlagen.
Er ist nicht gerade erst zum Onkel ernannt worden, um die Gunst mit einem Nein gleich wieder zu verspielen. Und sind das nicht gerade die Freude des Onkel-Seins, dass er Wünsche erfüllen darf, zu denen die Eltern sicherlich Nein sagen würden?
Zumindest das war an Adams Kindheit normal gewesen.
Bei Onkel Boris hatte er auch Dinge gedurft, die ihm zuhause Prügel und Schrank eingebracht hätten. Dinge wie Fernsehen, Schokoladenpudding essen oder auf dem Spielplatz toben.
Kein Wunder, dass seine Erinnerung an Boris kindlich-zärtlich verzerrt gewesen sind, als er ihn vor zwei Jahren im Knast wiedertraf und keine Gefahr witterte. Vor Onkel Boris hatte er sich nie fürchten brauchen. Onkel Boris hatte auch nur die Befehle des Königs ausgeführt und Adam seine Last ein wenig leichter gemacht.
Wie bitter er sich getäuscht hat.
So glücklich wie Tess mit dem großen Erdbeereis in der Hand ausgesehen hat, will Adam sie immer sehen, wenn sie mit ihm und Leo zusammen ist. Er will ihr und Lina all die Dinge geben, die er sich damals so schmerzlich von einem Onkel gewünscht hat.
Da nimmt er Caros Unmut auch gern auf sich, die nicht gerade begeistert auf ihr Eis-beschmiertes Kind geblickt hat. Während sie Tess ins Bad schickte, winkte sie Adam in die Küche, wo sie ihm zum Dank einen Kaffee kochte.
Lina kam auf ihren kurzen Beinen auf Adam zugeeilt und klammerte ihre kleinen Fäuste in Adams Hosenbein. Das fröhliche Quietschen war Musik in seinen Ohren, als er sie hochhob und im Kreis wirbelte. Angelockt von ihrer Schwester war Tess zurück ins Wohnzimmer gestürmt und hat Adam und Lina mit sich ins Kinderzimmer gezogen.
Wer brauchte schon Kaffee, wenn er Puppenkaffee in kleinen rosa Tassen serviert bekam und gleich zwei halbwegs aufmerksame Kellnerinnen hatte, die sich um ihn kümmerten, bis sie das Interesse an ihrem einzigen Gast verlieren.
Adam ließ sich von einem Spiel ins nächsten reißen, auch wenn ihm von den schnellen Wechseln schwindelig wurde. Fast schien ihm, als wollten die beiden Schwestern das Maximum aus ihrer Zeit mit Adam herausholen, bevor er wieder gehen musste, und Adam konnte es ihnen nicht verübeln.
So spielte Adam bereitwillig mit ihnen in der Puppenstube, ließ sich mit bunten Spangen frisieren und atmete durch, als die beiden erschöpft nach einer Geschichte verlangten und endlich zur Ruhe kamen.
Kurz kam Unmut auf, als Caro in der Tür des Kinderzimmers erschien und zum Abendessen rief. Untrüglich Adams Zeichen sich auf den Heimweg zu machen, wo Leo hoffentlich auch längst Feierabend gemacht hat und einem gemütlichen Abend nichts im Weg stand.
An der Tür hat Caro ihn noch mal in eine feste Umarmung gezogen und ihm über den Rücken gestrichen.
„Es ist schön, dass sie neben Leo jetzt noch einen Onkel haben, der so geduldig mit ihnen spielt“, hat sie dabei geflüstert und der Kloß in Adams Hals war erneut angeschwollen.
Er ist auch noch nicht wieder abgeschwollen, als er mit dem Salzteigschild in der Hand den Flur hinunter geht und vorsichtig die Wohnzimmertür öffnet. Zwar kann er keine Stimme dahinter hören, aber vielleicht ist Leo auch auf Kopfhörer umgestiegen.
Sein Blick fällt auf den geschlossenen Laptop auf dem Esstisch. Das Meeting scheint wohl wirklich zum Glück beendet zu sein. Doch Leo liegt nicht wie erwartet auf der Couch oder rumort in ihrer provisorischen Küche. Stattdessen ist die Balkontür geöffnet und Adam kann Leos Silhouette hinter den Vorhängen erkennen.
„Leo?“, macht er sich noch einmal bemerkbar und tritt auf den kleinen Balkon hinaus, nur um in der Bewegung zu verharren.
Vor ein paar Wochen haben sie die Balkonmöbel gekauft, die seitdem allerdings in ihrem Keller auf ihren Einsatz warten, bis sie endlich die Zeit finden, sich um die Wohlfühloase mit Blick über Saarbrücken zu kümmern.
Adam hat schon ein schlechtes Gewissen gehabt, dass sie nicht so schnell vorankommen, wie sie es sich gewünscht haben. Die Aussicht auf einen Balkon mit gemütlichen Loungemöbeln, auf die sie sich zu zweit im Sommer lümmeln können, ist Leos Traum gewesen.
Den er sich offenbar nun selbst erfüllt hat.
Vor dem hellen Outdoorsofa steht der Rattantisch und die beiden zum Sofa passenden Sessel auf dem flauschigen Outdoor-Teppich, über den sie lange diskutiert haben, ob der so sinnvoll ist. Am Ende hat Leo sich durchgesetzt. Der Sichtschutz aus Bast ist angebracht und das Geländer von einer Lichtketter umschlungen. Auch die Balkonkästen hängen schon bereit und warten darauf mit Pflanzen bestückt zu werden.
Das alles allein wäre schon Grund genug, Adam die Sprache zu verschlagen, doch die größte Überraschung ist das kulinarische Aufgebot auf dem Tisch und der stolze Gesichtsausdruck auf Leos Gesicht.
„Überraschung!“
Leo tritt mit zwei Gläsern gefüllt mit Eiswürfeln, Zitronenscheiben und einer milchen Flüssigkeit auf ihn zu.
Perplex nimmt Adam ihm eins der Gläser ab. „Was…wie…wann hast du denn das alles gemacht?“
Definitiv hat der Balkon noch nicht so ausgesehen, als Adam hier vor seinem Aufbruch zum Kindergarten noch eine geraucht hat. Jetzt stehen da Platten mit belegten Broten und aufgeschnittenen Obst und Gemüse und eine große Schüssel Salat.
Mit einem schelmischen Grinsen auf den Lippen legt Leo den Kopf schief. „Als du bei Caro warst. Sie war meine Komplizin, dich aus der Wohnung zu bekommen, um das hier vorbereiten zu können.“
Adam klappt überrascht der Mund auf und das Glas rutscht ein wenig zwischen seinen Fingern.
„Caro wusste hiervon?“
Leo nickt mit stolz geschwellter Brust und tritt auf ihn zu. „Ja, es war ihre Idee, dich mit Tess und Lina zu beschäftigen, damit du lang genug der Wohnung fernbleibst.“
„Und wenn ich nicht so lange geblieben wäre und nur Tess zuhause abgeliefert hätte?“ Der Plan war kühn gewesen, auch wenn Adam der Erfolg nicht abstreiten kann.
Leo zuckt mit den Schultern. „Das konnten wir ausschließen, weil wir wussten, dass Tess dich beschlagnahmen würde und du ihr keinen Wunsch abschlagen kannst.“
Für einen Moment kann Adam seinen Freund nur sprachlos anstarren, Herz und Kopf voll mit sich überschlagenden Gedanken, die alle nur darin münden, wie sehr er Leo und seine - ihre - Familie liebt.
„Ihr seid bekloppt“, sagt er mit einem Lachschnauben und tritt in Kussnähe zu Leo. „Deswegen liebe ich dich. Liebe ich euch.“
Eine zarte Röte schleicht sich auf Leos Wangen, die sicherlich nicht von der Abendsonne kommen.
Leo verschränkt die Finger ihrer freien Hände miteinander.
„Du hast so viel die letzten Tage hier gemacht und ich konnte dir kaum helfen.“ Adams Protestversuch wehrt er mit einem nachdrücklichen Kopfschütteln ab. „Doch, und das ist für mich nicht selbstverständlich.“
Behutsam zieht er Adam an der Hand näher.
„Danke, dass du so viel Liebe in unser Zuhause steckst“, raunt er bewegt und küsst Adam sanft, bevor dieser es noch mal mit dem Protestieren versuchen kann.
Der Kuss ist viel zu kurz für Adams Geschmack, als Leo sich löst und sein Glas feierlich gegen Adams klirren lässt. Es schmeckt frisch nach Zitronen und Minze und lässt Adams trockene Kehle freudig aufjauchzen.
Leo leckt sich die Flüssigkeit von den Lippen und sieht Adam mit so viel Liebe im Blick an, dass Adam hastig einen weiteren Schluck nimmt, um sich abzukühlen. Sonst würde er Leo sofort in ihr Schlafzimmer ziehen und die ganze Überraschung wäre vergessen.
„Außerdem“, Leo führt ihn zu dem Outdoorsofa und lässt sich Adam mit auf das weiche Polster sinken. „Außerdem habe ich noch das hier offen.“
Leo zieht zwischen den Kissen einen Umschlag hervor und reicht ihn Adam.
Mai steht in Leos leicht schräger Handschrift auf dem schlichten Kuvert. Adams Finger zittern, als er die Lasche öffnet und die Karte herauszieht.
Mit dir ist jeder Augenblick wie ein wahrgewordener Sternschnuppen-Wunsch.
Lass uns heute noch ein paar mehr machen.
Auch wenn Adam festen Glaubens ist, dass keine Sternschnuppe ihm einen besseren Wunsch und größeres Glück als Leo bringen konnte, findet er es schön auf ihrem Balkon zu liegen, die Leckereien zu naschen, die Leo vorbereitet hat und auf den Einbruch der Nacht und das Erleuchten des Sternenhimmels zu warten.
Und auch, wenn sie keine Sternschnuppe erblickten, in Leos Armen ist Adam sowieso wunschlos glücklich.
Chapter 7: Juni: Wie schön dass du geboren bist
Notes:
Happy Pride-Month und ein Happy Birthday an alle Juni-Geburtstagskinder <3
Ich wünsche euch viel Spaß mit dem neuen Kapitel :)
Chapter Text
Juni: Heut ist dein Geburtstag
Heute kann es regnen, stürmen oder schneien
Denn du strahlst ja selber wie der Sonnenschein
Heut' ist dein Geburtstag, darum feiern wir
Alle deine Freunde freuen sich mit dir
(Wie schön dass du geboren bist - Rolf Zuckowski)
Ein wohliges Kribbeln durchfährt seinen Körper, als er den Schlüssel ins Schloss steckt und sein Blick das Salzteigschild an der Tür streift.
Leo und er haben es am nächsten Tag gleich gemeinsam angebracht und Caro und den Kindern stolz ein Foto geschickt. Es erinnert Adam nun jeden Abend daran, zu was er nach einem langen Tag nach Hause kommt. Wie viel Liebe und Wärme hinter der Tür auf ihn wartet und dass wenigstens dort alles gut ist.
Ihr Beruf führt sie oftmals an die Grenzen menschlicher Abgründe und was sie einander antun können. Keine Spezies auf der Welt ist grausamer als der Mensch, hat Adams Vorgesetzter in Berlin einmal gesagt und seine Worte haben sich tief in Adams Gedächtnis eingegraben.
Er hat an seinen Vater gedacht, der das beste Beispiel für Grausamkeit gewesen ist, auch wenn Adam es erst viel später so wirklich verstanden hat. Als Jugendlicher hatte er zwar gewusst, dass das, was sein Vater mit ihm macht, nicht normal war, doch einen Ausweg hatte es damals nicht gegeben. Die Polizei wollte ihm nicht glauben, seine Mutter hat weggesehen und Onkel Boris war von einem Tag auf den anderen verschwunden, ohne dass Adam wusste, wohin.
Erst so viele Jahre später hatte er ihn wiedergesehen und erkannt, dass der strahlende Held seiner Kindertage auch nur ein berechnendes Arschloch wie sein Vater war.
Nur Leo hat ihm damals schon gezeigt, dass Adam Wärme und Zuneigung verdient. Es waren die kleinen Gesten gewesen, die Adams ausgetrocknetes Herz hat aufblühen lassen.
Das geteilte Pausenbrot.
Das Baumhaus.
Dass Leo ihm glaubte.
Ohne Leo wäre Adam heute nicht mehr. Dann hätte Adam einen Weg der Endgültigkeit gefunden, um den Fehler zu bereinigen, den sein Leben anscheinend darstellte.
Er hat über diese Gedanken nie mit Leo gesprochen, wollte ihn nicht noch mehr Sorgen bereiten. Am Ende sind sie eh nicht mehr wichtig. Adam hat das überwunden, hat fern von Saarbrücken die Hilfe bekommen, die er benötigte und jetzt hielt ihn sowieso zu viel am Leben, dass er sich selbst an schlechten Tagen nicht mehr dort hindenken konnte.
Und der Grund dafür ist nur eine Flurlänge von ihm entfernt.
Leo hat heute früher Feierabend gemacht - ohne Adam. Der Nachmittag ist zäh gewesen, mit dem besten Juni-Wetter vor dem Fenster und seinem Geburtstag so nah. Wie ein verfrühtes Geburtstagsgeschenk ist es ihm vorgekommen, dass sie ihren aktuellen Fall in Rekordzeit gelöst haben. Gut, es mag auch daran liegen, dass sich ihr Täter freiwillig gestellt hat und sie sich langwierige Ermittlungen sparen konnten, aber Adam wusste schon immer die Geschenke zu nehmen, wie sie kommen.
Zumal er sowieso nie Geschenke bekommen hat.
Als Kind hat sein Vater anlässlich seines Geburtstags auf seine Trainings verzichtet und ihn mal nicht in den Schrank gesperrt. Das war aber auch schon alles gewesen. Geschenke, über die er sich freuen konnte und die er sich gewünscht hat, gab es nicht. Erst Leo hat ihm versucht kleine Freuden zu machen, doch Adam hat nicht gewollt, dass er sein weniges Taschengeld für ihn ausgab.
Seit er wieder zurück in Saarbrücken ist, haben sie ihre Geburtstage ruhig begangen.
Ein gemeinsames Essen, eine gemeinsame Aktivität oder einfach nur bei Leo auf der Couch einen Serienmarathon machen - sie haben nahtlos dort angeknüpft, wo sie als Jugendliche aufgehört haben. Kein materielles Geschenk der Welt konnte das Gefühl der Geborgenheit herstellen, das Adam spürt, wenn er Zeit mit Leo verbringt. Und sie haben so viel Zeit miteinander verpasst, die sie gar nicht mehr aufholen können, aber sie können es nun besser machen.
Letztes Jahr haben sie Adams Geburtstag nur zu zweit verbracht. Sie sind im Kino gewesen und danach an der Saar entlang geschlendert. Auf der Höhe der hell erleuchteten Maria Helena hat Leo ihn dann zum ersten Mal geküsst und damit Adams Geburtstag als ihren Jahrestag markiert.
Für Morgen hat Leo, soweit Adam weiß, eine kleine Feier mit ihrer Familie organisiert. Nichts Großes, nur Kaffee und Kuchen und abends würden sie den Schwenker mit Leckereien befüllen. Auch wenn Adam mit Leo allein zufrieden gewesen wäre, freut er sich ehrlich auf seinen ersten Geburtstag mit den Menschen, die innerhalb eines Jahres auch seine Familie geworden sind.
Nur, warum Leo so ein Geheimnis aus seinem verfrühten Feierabend macht und Adam nicht mitnimmt, lässt seine Ermittlerinstinkte anspringen. Irgendwas hat Leo geplant, von dem Adam nichts wissen sollte und er ist sehr motiviert das im Laufe des Abends noch herauszufinden.
Adam streift seine Schuhe von den Füßen und hängt seine Jeansjacke ordentlich an die Garderobe. Die Tür zum Wohnzimmer ist nur angelehnt und der verführerische Duft von Lasagne dringt in Adams Nase.
„Leo, ich bin Zuhause“, ruft er und stößt die Tür auf.
Einen Augenblick braucht sein Gehirn, um die Bilder zu verarbeiten, die seine Augen ihm meldeten.
Dort an ihrer furchtbar modernen Kücheninsel mit jeglichem Chichi, den man sich vorstellen kann, steht zwar ein dunkelhaariger Mann, den er zwar auch so gut wie keinen anderen kennt, der aber eindeutig nicht sein Freund ist. Und nicht mal hier in Saarbrücken sein sollte.
„Vincent?“, keucht er überrascht und der Mann grinst breit.
„Überraschung!“
Er breitet die Arme aus und Adam muss seinen Körper nicht mal bewusst das Zeichen geben, sich auf seinen besten Freund zu stürzen.
Seufzend vergräbt er die Nase in den dunklen Locken, die wie früher leicht nach Kokos riechen und sich seidig weich an seiner Wange anfühlen. Die Arme, die ihn umschlingen sind kräftig und muskulös, aber so ganz anders als Leos. Der Effekt auf ihn ist aber der gleiche. Vincents Umarmung konnte, wie schon Leos Adams Inneres wieder zusammensetzen.
„Was machst du hier?“ Seine Stimme zittert und er räuspert sich verlegen, als er sich von Vincent löst und die Tränen aus seinen Augenwinkeln wegblinzelt.
Vincent sieht noch aus wie vor drei Jahren, als sie sich das letzte Mal in Berlin gesehen haben. Damals nach der Sache mit seinem Vater und bevor Vincent an die deutsch-polnische Grenzen versetzt wurde.
Ein paar Fältchen mehr sind an den Augen hinzugekommen, die Schatten unter seinen Augen scheinen noch tiefer, aber da ist immer noch die einzigartige Wärme in seinen grün-blauen Augen, die schon zu ihren WG-Zeiten Adam am besten beruhigen konnte.
„Dein Freund“ Vincent zieht das Wort extra ein wenig in die Länge und zwinkert Adam verschwörerisch zu. „Dein Freund hat mich angerufen und gefragt, ob ich zu deinem Geburtstag kommen möchte, weil du mich vermisst.“
„Und da ich dich auch vermisst habe und deinen Leo endlich nach all den Jahren mal persönlich kennenlernen wollte, habe ich den weiten Weg von Frankfurt heute Morgen angetreten.“ Vincent reißt theatralisch die Arme in die Luft und dreht sich einmal um seine Achse. „Leo hat mich vorhin vom Bahnhof abgeholt.“
So ganz will Adams Kopf noch nicht verstehen, dass Vincent hier in ihrer Wohnung steht, als wäre er jeden Tag hier zu Besuch. Mit seinen weiten Yogahosen und dem bunten, luftigen Hemd wirkt er auf Adam, wie damals in ihrer WG, wenn sie einen gemütlichen Abend geplant haben und keine Verpflichtungen anstanden.
Adams Herz ächzt einen Moment lang. Ja, er hat Vincent vermisst in den letzten Jahren und ihre Telefonate sind mit der Zeit immer seltener geworden. aber wie sehr er ihm gefehlt hat, merkt er erst jetzt.
Es ist ähnlich wie damals mit Leo, nur das fünfzehn Jahre und ein wortloses Verschwinden etwas anderes sind als der Abschied damals von Vincent. Und trotzdem bricht etwas Verhorntes und Vernarbtes von seinem Herzen und entblößt den Schmerz, der darunter liegt.
Ein Schluchzen entweicht Adams Kehle und er schlingt erneut die Arme um Vincent.
„Schön, dass du da bist!“, flüstert er in Vincents Ohr und spürt, wie sich die Umarmung ein letztes Mal festigt, ehe sein bester Freund ihn sanft von sich schob.
Auch in seinen Augen schwimmen einige Tränen, die er mit einem verlegenen Lächeln wegwischt.
„Nun ist aber gut. Nicht, dass dein Leo noch eifersüchtig wird.“ Vincent ruckt mit dem Kinn über Adams Schulter und er dreht sich um.
Leo steht etwas unschlüssig neben ihrer Sofalandschaft und beobachtet sie. Auf seinem Gesicht liegt ein zärtlicher Ausdruck, der Adam eh schon weiche Knie noch mehr mit Pudding ausgießt.
Leicht schwankend stürzt er auf Leo zu, nimmt sein Gesicht zwischen seine Hände und presst einen harten Kuss auf seine Lippen, der hoffentlich all die Gefühlsstürme transportiert, die gerade in ihm toben.
„Danke“, haucht er mit belegter Stimme und nur wenige Millimeter von Leos Lippen entfernt. Ein sanfter Rosaton zieht sich über seine Wangen und die grünen Augen flackern verlegen.
„Du freust dich?“ Die Unsicherheit, die in der Frage mitklingt, lässt Adam ihn noch mal zärtlicher küssen.
„Und wie.“ Die Muskeln in seinen Wangen schmerzen von dem breiten Lächeln, das an seinen Mundwinkeln zieht. „Endlich lernen sich die beiden wichtigsten Menschen in meinem Leben kennen. Und ich habe morgen Geburtstag - ich bin gerade scheiße glücklich, Leo.“
Er spürt Leos erleichtertes Seufzen mehr auf seinen Lippen, als dass er es hört und streicht noch einmal versichernd über die weichen Bartstoppeln.
„Ich liebe dich, Leo.“ Er dirigiert Leos Kopf ein Stück und küsst sanft seine Stirn.
Es ist so einfach zwischen ihnen, dass Adam ganz schwindelig wird vor Glücksgefühlen in seinem Bauch.
Sie haben es sich mit der veganen Lasagne auf ihrem Balkon gemütlich gemacht und während Leo und Vincent mit Bier auf ihre neue Bekanntschaft anstießen, hat Adam sich in den Polstern zurückgelehnt und den Anblick in sich aufgesaugt.
Anfänglich hat das Gespräch noch ein wenig gestockt - Adam kennt Leo und weiß, wie sehr sein Freund sich um einen guten ersten Eindruck bemüht. Dass das gar nicht nötig ist, scheint Leo auch im Laufe des Abends zu bemerken und wird merklich entspannter mit Vincent.
Sie sprechen über Berlin. Über die Ecken, die Leute mal mit Caro auf einem Städtetrip besucht hat und die langsam, aber sicher der Gentrifizierung zum Opfer fallen. Vincent erzählt Anekdoten aus ihrer WG-Zeit und versteht es dabei, Leo ein gutes Gefühl zu geben und ihn trotzdem einzubinden.
Als die Nacht ihr tintenblaues Gewand über die Stadt legt, holt Adam für sie Decken aus der Wohnung und sie rutschen auf dem Outdoorsofa enger zusammen.
Adams Körper ist vor Müdigkeit schon schwer und er droht mit den Polstern unter sich zu verschmelzen, doch er kann seinen Blick nicht von den beiden Männern abwenden, die in einem angeregten Gespräch über die Schwierigkeiten von Polizeiarbeit in Grenzgebieten vertieft sind.
Der schrille Klingelton von Leos Handy lässt sie zusammenzucken.
Hastig fischt Leo das Gerät aus seiner Hosentasche und seine Augen weiten sich erschrocken. Adam hofft nicht, dass sie eine Leiche bekommen haben. Das kann er an seinem Geburtstag gar nicht gebrauchen. Und eigentlich haben sie auch keine Bereitschaft. Das hat Leo schon vor Wochen mit den Kollegen von den Dreiern verhandelt, damit sie das Wochenende freimachen können.
„Was ist…?“, setzt Adam zur Frage an, doch Leo wirft die Decke von sich und eilt in die Wohnung. Fragend sieht Adam zu Vincent, der seinerseits einen Blick auf sein Handy wirft und verstehend grinst.
„Happy Birthday, Adam.“
Leo tritt wieder auf den Balkon, in seinen Händen balanciert er einen Kuchen mit Wunderkerzen drauf, die glitzernde Schatten in sein Gesicht werfen.
Etwas steif von der Kälte der Nacht setzt Adam sich auf und erhebt sich, um Leo den Kuchen abzunehmen und auf den kleinen Tisch zu stellen.
„Alles Gute zum Geburtstag, mein Schatz“, flüstert Leo und küsst ihn einen Herzschlag lang tief, bevor Adam in Vincents Arme gezogen wurde.
„Ich bin so froh, heute bei dir sein zu können, Adam.“ Vincent schiebt ihn ein Stück von sich und streicht ihm eine vorwitzige Strähne aus der Stirn, ehe er sich zu Adams Ohr lehnt. „Dein Leo ist noch toller, als du ihn beschrieben hast. Ich bin sehr glücklich für dich Adam.“
Adam tastet blind nach Vincents Hand und drückt sie fest.
Ja, er ist auch glücklich. Hoffentlich kann er das Glück durch das neue Lebensjahr bringen.
Doch wenn er in Leos Augen blickt, die ihn mit so viel Liebe anschauen, schweigen seine Zweifel.
„Sag mal, bin ich fürs Saarland zu bunt angezogen?“
Vincent dreht sich einmal im Kreis und lässt seinen Rock schwingen. Der Rock ist zwar ein schwarzer Faltenrock und recht unspektakulär, doch dafür sticht das orange Seidenhemd mit blauen Leopardenmuster ins Auge. Adams buntes Hawaiihemd, das Leo in die hinterste Ecke ihres Kleiderschrankes verbannt hat, würde fast schon spießig neben Vincents Look aussehen.
Lachend lehnt Adam sich mit verschränkten Armen gegen den Türstock.
„Ja schon, man wird dich für einen Franzosen halten.“
Die mit schwarzem Kajal umrandeten Augen blitzen vergnügt auf.
„Na dann ist ja gut!“
Er schüttelt mit einer Hand seine Locken auf und wirft einen letzten prüfenden Blick in den Spiegel neben der Zimmertür.
„Ich will ja immerhin gut aussehen, wenn ich auf den Spuren der Vergangenheit von Adam Schürk wandle.“
Leo hat schon vor einiger Zeit die Wohnung verlassen, um Vorbereitungen für den Nachmittag zu treffen. Jedoch nicht ohne, dass er Adam mit sehnsuchtsvollen Küssen und geschickten Händen auf seinem Körper, den Start ins neue Lebensjahr auf angenehme Art versüßt hätte.
Adam ist immer noch erstaunt, wie leise sie sein konnten, wenn sie wollten und wie sehr er es mochte, wenn Leo trotz lustvoller Folter ihn auffordert keinen Laut von sich zu geben. Vermutlich würde er den Kopfkissenbezug heute Abend noch wechseln müssen, da es noch feucht von seinem Stöhnen und anderen Flüssigkeiten ist.
„Können wir?“, reißt Vincent ihn aus den Gedanken, der sich seine schwarzen Stiefel fertig geschnürt hat und ihn abwartend ansieht.
Sie würden in einem Café frühstücken gehen, dass Leo extra für Vincent rausgesucht hat, da es auch vegane Alternativen bietet und ihre Stammadressen oftmals nur vegetarisch anboten.
Adam hat seinem besten Freund aus Berlin angesehen, dass er von Leos kümmernder Art und seinem Interesse an ihm gerührt ist. Dabei scheint Vincent zu vergessen, dass er gerade in einen Spiegel schaut und Leo nur das tut, was auch Vincent so oft während ihrer WG-Zeit gemacht hat - achtsam mit den Menschen um sich herum sein, damit es ihnen gut geht.
Im Vorratsschrank waren immer Adams Lieblingschips gewesen und im Kühlschrank die Erdbeermarmelade ohne Kerne, weil er die immer zwischen den Zähnen hängen blieben.
Wenn Adam Nachtschichten auf dem Dienstplan hatte, hat immer ein vorbereitetes Essen in einer Tupperdose auf dem Küchentisch für ihn gestanden.
Vincent hatte ihm geholfen beim Heilen. Hat sich stundenlang Adams Wehklagen über Leo angehört und ihm gut zugesprochen, als er das Versetzungsgesuch entdeckt hat und plötzlich eine Rückkehr zu Leo nicht mehr nur hypothetisch war.
Ohne Vincent damals in Berlin gäbe es wohl jetzt kein Wir in Bezug auf Leo und ihn. Vermutlich gäbe es ihn nicht mehr. Vincent hat die Dunkelheit in Schacht gehalten, damit Adam zurück zu Leo, zu seinem Leuchtturm, finden konnte, dessen Licht er aus den Augen verloren hat.
Adams Herz scheint plötzlich eine Nummer zu eng, mit dem warmen Gefühl, das den Raum einnimmt und gegen die Wände drückt.
Einem Impuls folgend schließt er Vincent in die Arme, der einen überraschten Laut in seine Schulter atmet.
„Danke“, flüstert Adam. „Danke, dass es dich gibt.“
Sie parken am Straßenrand, mit dem Blick die Einfahrt hinunter zu dem grauen Betonklotz, in dem sich der Schrecken, der Adams Kindheit gewesen ist, abgespielt hat. Der Rasen ist nicht mehr das Abbild eines perfekten englischen Rasens, auf den sein Vater so viel Wert gelegt hat und den sie sich lange nicht getraut haben zu verändern. Adam hat es versucht, mit Dauerbewässerung bei Sommerhitze, damit der Rasen verbrannte wie hoffentlich sein Vater im Höllenfeuer.
Jetzt wächst dort eine Wildwiese, die das Paradies für Bienen und Insekten aller Art bildet. Ein bunter Teppich und im Zentrum das graue Monstrum.
Vincent auf dem Beifahrersitz ist still geworden und sieht mit ernstem Blick aus dem Seitenfenster auf Adams Kindheit. Hinter den schönen Augen tobt ein Sturm, der sich erst nach wenigen Minuten legt und Vincent seine Hand über die Mittelkonsole auf Adams Oberschenkel schiebt.
Das von Adam nur als Bunker verspottete Elternhaus ist ihr letzter Stopp auf ihrer Rundfahrt zu den Orten von Adams ferner und jüngster Vergangenheit gewesen. Sie haben am See gestanden, wo Leo ihn verhaftet hat, und er hat Vincents Hand gehalten, als er von der Angst erzählte, dass Leo ihm nicht glaubte und ihn in eine Falle gelockt hat. Wie verraten und verloren er sich in dem Moment gefühlt hat und wie er es bereut hat, je zurückgekommen zu sein.
Viele von den Gedanken hat er auch schon mit Leo geteilt. Sie sind ihm nicht neu, doch es hat etwas Endgültiges, sie nun mit Vincent loszulassen.
Besser konnte ein neues Lebensjahr nicht beginnen als ohne den ganzen Ballast der Vergangenheit.
„Du kannst stolz auf dich sein Adam“, sagt Vincent mit belegter Stimme und drückt kurz versichernd zu. „Du hast so viele Hürden genommen, um endlich die Liebe zu spüren, die du schon immer verdient hast.“
Adam schluckt schwer gegen den Kloß in seiner Kehle an und legt mit einem matten Nicken seine Hand über Vincents, ehe er den Motor startet.
Reingehen würden sie nicht. Adam setzt keinen Fuß mehr über die Türschwelle. Seine Mutter würde er später auf der Feier sehen. Leo hat ihn vorsichtig vor einigen Tagen darauf angesprochen, ob er seine Mutter dabeihaben wollte.
Ihr Verhältnis ist nicht das Beste. War es nie gewesen und wird es nie sein, aber an den wichtigen Tagen im Jahr möchte er sie schon um sich haben, um wenigstens etwas Normalität zwischen ihnen zu spüren.
Und dazu gehört der Tag seiner Geburt, der sie beide für immer verbinden würde und mittlerweile gibt es genug Dinge, warum er ihr dankbar ist, dass sie ihm das Leben geschenkt hat.
Ohne sie hätte er nie Leo und Vincent kennengelernt.
Es ist später Nachmittag, als sie vor Leos Elternhaus einparken und sie auf den Gehweg der ruhigen Wohnsiedlung treten.
Der würzige Geruch von Gegrillten hängt in der Luft und mischt sich unter den unverkennbaren Duft von sonnengewärmtem Asphalt und den Blüten der Ligusterhecke, die im Vorgarten von Leos Eltern blüht.
Adam reckt sein Gesicht in die Sonne, die warm über seine Haut streicheln. Von den umliegenden Grundstücken dringen lachende Kinderstimmen an sein Ohr und von Zeit zu Zeit auch das Platschen eines Sprungs in einen Pool, der jauchzend begleitet wird.
Ein friedliches Szenario, wie Adam es seit jeher mit Leos Elternhaus in Verbindung bringt. Als Jugendlicher war er nicht oft hier gewesen, auch wenn er gern jeden Tag bei Hölzers verbracht hätte.
Hier ging es lustig zu. Hier schlug kein Vater seinen Sohn und sperrte ihn in schwere Eichenschränke, bis er in der Dunkelheit und der Enge beinahe den letzten Lebenswillen verlor.
Adam macht sich eine Illusion, dass bei Hölzers immer alles in Ordnung gewesen ist. Sicherlich lauern auch hier Geister, die die Hände nach den Menschen in ihrer Nähe ausstrecken. Doch sie waren glücklich und kämpften jeden Tag aufs Neue um dessen Erhalt.
Alle glücklichen Familien sind einander ähnlich, jede unglückliche Familie ist unglücklich auf ihre Weise, hat Vincent mal weise zitiert, als sie zu zweit auf ihrem kleinen Balkon ihrer Kreuzberger WG saßen und den Blick über die Dächer des nächtlichen Berlins gleiten ließen, ein Joint im Aschenbecher zwischen ihnen.
Damals hatte Adam ihn nicht verstanden und den Satz als überholt und nicht mehr zeitgemäß abgetan. Erst heute, wo er Teil einer glücklichen Familie ist, beginnt er zu verstehen.
Vincent tritt neben ihn und schiebt seine Hand in Adams, um ihm sanft aus den Gedanken zu reißen. Die blaugrünen Augen leuchten warm im Licht der Nachmittagssonne und diese Wärme breitet sich auch in Adams Inneren aus. Umhüllt sein Herz, lässt es ihm einem Kokon aus Licht zurück, dass das Glücksgefühl fast schmerzhaft ist.
Nur schwer kann Adam sich heute noch an die unglückliche Berliner-Vision seines Selbst erinnern, dass nur mit Vincents Liebe und Pflege, nicht einfach zwischen den anderen Trauergestalten der Stadt verloren gegangen war.
Hätte Vincent bei seiner Abreise aus Berlin prophezeit, dass sie einmal hier vor dem Gartentor von Leos Elternhaus stehen würde, das mit einer Girlande aus Regenbogenwimpel geschmückt ist — Adam hätte es ihm nicht geglaubt. Diesen Inbegriff von häuslichem Glück hätte er nur schwer mit seiner Erinnerung an Saarbrücken überein bekommen. Seine Hoffnung war damals nur gewesen, dass Leo ihn nicht sofort wieder zum Teufel jagt.
Was er nicht hat. Ganz im Gegenteil. Da war ein Platz in seinem Leben, den er nur zu gern Adam überlässt.
Sie treten durch das Gartentor auf den akkurat gepflasterten Weg, vorbei an Blumenbeeten, in denen Pfingstrosen und Nelken blühen und ihren schweren Geruch verströmen.
„Onkel Adam!“, ertönt es mit einem begeisterten Kreischen, als sie um das Haus herum in den Garten treten, von dem Adam erst gar nicht viel erfassen kann, als sich schon zwei Kinder an seine Beine und Hüfte klammern und ihm ins Straucheln bringen.
„Alles Gute zum Geburtstag, Onkel Adam!“ Tess zupft an seinem T-Shirt und er geht in die Hocke, auch wenn seine Knie protestieren. Für den feuchten Kuss auf seine Wange, den er erst von Tess und dann von Lina bekommt, ist der Schmerz es wert gewesen.
„Und wer bist du?“
Tess hat sich Vincent zugewandt, der mit einem breiten Grinsen neben ihm steht und die Szene beobachtet hat. Adam sieht, wie Tess' Blick auf Vincents Rock fallen und sich eine steile Falte zwischen ihren Augen bildet. Den Zeigefinger nachdenklich in den Mund gesteckt, beäugt sie Vincent.
„Das ist Vincent. Mein bester Freund aus Berlin“, erklärt Adam und die Furche zwischen Tess' Augen wird noch tiefer.
„Aber Onkel Leo ist doch dein bester Freund“, erwidert sie mit kritischem Unterton und sieht sich nach Leo um, der auf sie zukommt.
„Natürlich ist Leo mein bester Freund.“ Adam wirft einen Blick zu Leo und lächelt ihn an. „Aber Vincent ist es auch. Man kann zwei beste Freunde haben.“
Tess knabbert an ihrem Fingernagel und blickt skeptisch von Leo zu Adam zu Vincent, als würde sie angestrengt über Adams Worte nachdenken und einen Sinn dahinter suchen.
Anscheinend hat sie den auch gefunden, denn sie entlässt den Finger aus ihrem Mund und strahlt nun Vincent herzlich an.
„Also so wie Helene und Mia beide meine besten Freundinnen sind? Nur Mia mag nicht Anna und Elsa spielen und Helene schon?“
Adam hat diese Namen zwar noch nie gehört, aber er nickt bekräftigend, als Leo ihm zu zwinkert. Es wird schon seine Richtigkeit haben.
„Magst du Anna und Elsa?“, richtet Tess mit ernsthaftem Gesichtsausdruck die Frage an Vincent.
„Na klar!“ Adam ist sich sicher, dass Vincent keine Ahnung hat, wovon seine Nichte gerade spricht, aber er strahlt sie so entwaffnend an, dass Tess das nicht weiter zu hinterfragen scheint.
„Na dann komm!“ Sie angelt nach Vincents Hand und zieht daran. „Ich stelle dich den anderen vor!“
Kurz sieht Adam Irritation über Vincents Gesicht ob des plötzlichen Richtungswechsels in Tess' Verhalten huschen, das sich jedoch schnell widerlegt und er ihr breitwillig in den Garten folgt.
„Ich befürchte, Tess hat schon von deinem Geburtstagskuchen genascht und der Zucker steigt ihr zu Kopf“, entschuldigt sich Leo und zieht Adam für einen Kuss zu sich heran. Mit einem wohligen Seufzen lässt Adam sich kurz gegen Leos Schulter fallen und sein Freund schließt die Arme um ihm.
Der Garten ist geschmückt in Regenbogengirlanden und Lampions, die im seichten Sommerwind in den Ästen der Kirschbäume schaukeln. Am Fuße der Terrasse sind mehrere Biergarnituren zusammengestellt und mit weißen Papiertischdecken und Trockenblumensträußen geschmückt worden.
Er sieht seine Mutter mit zaghaftem Lächeln neben Leos stehen, die gerade Vincent begrüßt, den Tess immer noch an der Hand hält. Lina steht neben Caro, die ihrer Tochter über den Kopf streichelt und den Neuankömmling beobachtet.
Etwas abseits vom quirligen Familienhaufen sieht Adam Esther und Pia stehen und sein Herz macht einen kleinen freudigen Hüpfer. Auch wenn Esther an den meisten der Tage immer noch Baumann ist, haben sie so etwas wie eine Freundschaft entwickelt im letzten Jahr, die anscheinend auch beinhaltet, auf der Geburtstagsfeier des anderen aufzutauchen.
Pia winkt ihm freudestrahlend zu und Adam erwidert den Gruß. Lange wird er nicht mehr einfach in Leos Armen verharren können. Diese Menschen sind alle seinetwegen da. Weil sie ihn lieben und jeder auf seine Art mit ihm verbunden sind.
„Noch mal alles Liebe zum Geburtstag, Adam“, flüstert Leo neben seinem Ohr und presst die Lippen gegen Adams Schläfe. „Auf ganz viele weitere Geburtstage mit dir.“
„Auf unseren ersten Jahrestag.“ Adam sucht nach Leos Hand und drückt sie fest. Er spürt das Nicken an seinem Kopf und dann, wie Leo sich versteift.
„Shit!“, entfährt es ihm und sein Griff um Adam wird einen Augenblick lang fester.
„Ich habe den Umschlag für Juni habe ich leider zuhause vergessen“, gesteht Leo mit zerknirschtem Unterton und Adam löst sich ein Stück von ihm. „Das soll hier heute eine Art Kindergeburtstag mit Pride-Motto sein.“
Für einen Moment sieht Adam seinen Freund sprachlos an.
„Kindergeburtstag? So richtig mit Topfschlagen und Blinde Kuh?“
Leo senkt beschämt den Blick. „Ich weiß, das klingt total kindisch, aber —“
Adam erstickt den Protest mit einem Kuss und Leo schmilzt mit einem Seufzen an seinen Lippen.
„Ich liebe dich, Leo. Ich weiß gar nicht, womit ich all deine Ideen dieses Jahr verdient habe.“
Er sieht Leo an, dass ihm eine ganze Reihe an Gründen einfallen würden, doch Adam muss sie nicht hören. Nicht jetzt, vielleicht auch nie, denn er spürt sie jeden Tag aufs Neue und hofft, dass er Leo wenigstens einen Teil seiner Liebe genauso zeigt.
Vielleicht kann Adam Leo später noch zeigen, wie sehr er ihn liebt, doch jetzt müssen sie sich ihrer Familie und den Freunden stellen, die abwartend zu ihnen hinüberblickt und seinen Geburtstag mit ihm feiern will.
Und als er später am Abend auch noch Esther beim Topfschlagen haushoch abzieht, kann sein Tag fast nicht perfekter werden.
Chapter 8: Juli: Sommerkinder
Notes:
Der Großteil dieses Kapitels habe ich aus dem Schutz des Strandkorbs geschrieben, wo die Hitze ein wenig erträglicher war.
Ich hoffe, ihr findet die Tage auch eine Abkühlung - in welcher Form auch immer!Ich danke vielmals für Kudos, Nachrichten und Kommentare zum letzten Kapitel <3 Die waren wie ein großes Schoko-Eis <3
Viel Spaß jetzt beim Lesen, genießt den Sommer und bis August <3
Chapter Text
Juli: Sommerkinder
Sommerkinder wollen jeden Tag zum Baden gehen
Und von früh bis spät nur die Sonne sehn
(Sommerkinder - Rolf Zuckowski)
Es ist eine Jahrhunderthitze. So zumindest hat es der Radiomoderator heute Morgen bezeichnet und gut gelaunt über die Vorzüge eines klimatisierten Studios geschwärmt.
Mit einem wütenden Knurren hat Adam dem Autoradio den Saft abgedreht und finster auf den wie nass schimmernden Asphalt der Saarbrücker Stadtautobahn gestarrt, während Leo ihm besänftigend das Bein getätschelt hat.
Pünktlich zu dieser Jahrhunderthitze ist natürlich die Klimaanlage im Büro ausgefallen und ihr Haustechniker sortiert die Aufträge nach Dringlichkeit. Das Büro ihres Teams rangiert da eher im Mittelfeld wie der maulfaule Herr es Adam zu verstehen gegeben hat, ehe er ihn einfach stehen ließ.
Adam hat nur nicht weiter die Diskussion mit ihm gesucht, weil er die Befürchtung hat, dass ihre Klimaanlage dann noch länger streiken würde. Da sollte nochmal jemand sagen, dass er seine Impulse nicht unter Kontrolle hat.
Sie haben auch keinen aktuellen Fall, sodass er bei Henny in der Gerichtsmedizin herumhängen könnte. Da würde er sogar den unangenehmen Geruch dort in Kauf nehmen, wenn er dafür kurz zurück auf Normaltemperatur kühlen konnte.
Dass sie Altfälle bearbeiten, sollte ihn eigentlich jubeln lassen, da es meist Archivarbeit bedeutet. Nur leider sind die Arbeitsplätze dort unten rar und sie haben den Wettlauf mit denen von den Dreiern verloren, die alle Kapazitäten beschlagnahmt haben.
Die einzige Abkühlung findet er somit nur, wenn er in der Kaffeeküche im Kühlschrank nach der Milch sucht. Das kann auch schon mal länger dauern, da würde sich Adam nichts von einem erhöhten Energieverbrauch erzählen lassen.
Jedenfalls stimmen die Tage Adam alles andere als froh.
Ihr Büro mit der modernen Glasfront sieht zwar nach etwas aus, aber auf die Erfahrung wie in einem Backofen bei 180 Grad Umluft hätte er verzichten können.
Ihr Team hat eigene Wege gefunden, sich halbwegs kühl zu halten.
Pia verdrückt ein Eis nach dem anderen, während Esther einen USB-betriebenen Miniventilator an ihren Computer angeschlossen hat.
Leo schlürft unentwegt lauwarmen Pfefferminztee und hält ihnen regelmäßig einen Vortrag, dass kühle Getränke nur zu noch mehr schwitzen führen.
Adam liebt ihn, wirklich, aber da kann Leo einfach mal die Fresse halten und Adam in Ruhe seine kalte Fanta trinken lassen, bis er davon Bauchschmerzen und Schluckauf bekommt.
Sogar auf dem Raucherdach ist es angenehmer als in ihrem Büro. Im Vergleich zu 40 Grad drinnen sind 32 Grad geradezu ein subarktisches Paradies.
Vielleicht kann er Leo überreden, dass sie heute mal früher Feierabend machen. Ihre Wohnung ist zwar nur minimal kühler, aber sie könnten zu Leos Eltern fahren und in den Pool gehen. Sicherlich hätte Mechthild auch genug Eis im Gefrierschrank und Leos heißgeliebte Kaltschalen vorrätig.
Leo in seiner knappen roten Badehose wäre nur die Kirsche auf dem Sahnehäubchen und würde bei Adam für eine gute Art von Hitze sorgen.
Beschwingt von seinem Plan stößt er die Tür zu ihrem Büro auf. Träge hebt Pia den Kopf, ihr Pony klebt strähnig an ihrer hochroten Stirn und ihr Blick hat etwas Flehendes.
Fragend hebt Adam die Augenbrauen. Unmöglich kann er schon wieder mit dem Ablenkungsmanöver dran sein, damit Pia Nachschub an Eis holen kann. Zumal er einen viel besseren Plan hat, der zwar nicht direkt Pia und Esther einschließt, aber auch ihnen zugute kommt.
Pias Kopf ruckt zu Leo, der in Dokumente vor ihm vertieft scheint und dessen Blick immer wieder vom Papier zum Bildschirm gleitet.
Mach was, formt Pia tonlos.
Sie haben keinen Fall, mit den Altfällen sind sie mehr als kläglich beschäftigt - was zum Teufel hat Leo da jetzt an Anträgen oder Berichten so eifrig zu tippen?
Er wird doch nicht ihre Ressourcen für andere Teams freigeben? Das kann er ihnen nicht antun. Soweit Adam mitbekommen hat, scheint es den anderen Teams ähnlich wie ihnen zu gehen mit dem Sommerloch. Und zu den Streifenhörnchen wird Leo sie nicht stecken, wenn er nicht will, dass Adam die nächste Zeit im Gästezimmer schläft.
Als ihn nun auch von Esther ein flehender Blick trifft, räuspert sich Adam und tritt an Leos Tisch.
„Leo“, setzt er an, doch der Angesprochene hebt abwehrend die Hand.
„Nicht jetzt, Adam. Ich mache das hier noch schnell fertig.“ Leo nimmt sich nicht mal die Zeit, um Adam anzuschauen und es gibt ihm einen winzigen Stich.
Er weiß wie fokussiert und in seiner Arbeit verloren Leo sein kann, dafür liebt er ihn ja gleich noch mehr, aber meist hat Leo auch an stressigen Tagen die Zeit, Adam nicht einfach abzuwimmeln. Und wenn es nur ein flüchtiger Kuss ist, mehr auf der Wange und dem Mundwinkel als auf den Lippen, ist da doch die Aufmerksamkeit kurz auf Adam.
Ratlos schaut Adam wieder zu Esther und Pia, die sie mit großen Augen beobachten. Pias Eis tropft unbemerkt auf die Tischunterlage und saut hoffentlich keine wichtigen Dokumente ein.
Mit einem Schulterzucken trollt sich Adam wieder an seinen Platz Leo gegenüber und verschränkt die Arme vor der Brust, während er seinen Partner in allen Lebensbereichen mit stechendem Blick taxiert.
Er wüsste zu gern, was wichtiger als Adam ist.
Lange muss Adam nicht auf die Antwort warten. Fünf Minuten nachdem Adam überlegt hat, ob der Stoff seines Stuhls mittlerweile mit dem seiner Jeans zu einer Masse verschmolzen ist und er jetzt praktischerweise immer eine Sitzgelegenheit dabeihat, erhebt sich Leo und schiebt die Dokumente auf seinem Tisch zusammen.
Von der Hitze müde und träge und vielleicht noch ein wenig beleidigt sieht Adam auf, als Leo zu ihm an den Tisch tritt und einen im vertrauten Umschlag und einen ausgefüllten Antrag vor ihn legt.
Juli prangt auf dem Kuvert in leuchtend gelber Schrift. Schlechtes Gewissen fährt, wie ein kalter Schauer durch Adams Körper und am liebsten würde er den Kopf einziehen.
Noch mehr, als er den Antrag genauer betrachtet und feststellen muss, dass Leo ihm Freizeitausgleich für Überstunden genehmigt hat.
Und offensichtlich auch Esther und Pia, denen er ihre Anträge reicht.
„Wir haben gerade eh nichts Wichtiges auf den Tischen und da können wir auch die Überstunden abbauen, die uns der letzte Fall auf die Konten gespült hat.“
„Leo, du bist ein Heiliger“, kommt es ehrfürchtig von Pia, die sich den Rest vom Eis in den Mund stopft. „Wenn es nicht so warm wäre, würde ich dich glatt umarmen.“
Verlegen lächelnd senkt Leo den Kopf. Mit Lob kann er zwar mittlerweile besser umgehen, sich wohl damit fühlt er sich aber noch nicht.
Außer, wenn Adam ihn lobt, aber da ist der Kontext meist ein anderer und sie haben deutlich weniger an.
Die Aussicht auf einen frühen Start in den Feierabend beflügelt ihre Kolleginnen, die die Kaffeetassen von den Tischen einsammeln und in die kleine Kaffeeküche am Ende des Ganges schleppen.
Zeit genug für Adam, das Kuvert vor ihm zu öffnen. Es muss einen Zusammenhang mit den Plänen für den Nachmittag und Leos Überraschung für ihn geben.
Willst du mit mir Freibad-Pommes teilen?
O Ja
O Nein
O Ja, aber ich will meine eigenen Pommes
In seinem Magen zieht es freudig und gegen das dümmliche Lächeln, das sich auf seine Lippen schleicht, kann er nichts machen.
Er angelt nach dem Kugelschreiber in seiner Stiftebox und setzt schwungvoll das Kreuz bei der letzten Option.
Er liebt Leo, aber Pommes teilt er nicht.
Ein leises Lachen kommt von Leo, eins von denen, die sein Gesicht so viel jünger aussehen lassen. Dann erinnert er Adam so sehr an den Jungen von einst, der in seinem Baumhaus mit Adam nicht nur die Cola und Comichefte geteilt hat, sondern auch sein Herz.
So viele Sommertage hatten sie in der engen Hütte hoch über dem Waldboden verbracht, weil man von dort gut auf das Grundstück der Schürks blicken konnte. So war Adam immer rechtzeitig wieder im Haus gewesen, wenn das Auto seines Vaters in die Auffahrt gebogen war, hatte aber die gestohlenen Momente mit Leo für den Rest des Tages im Herzen.
Im Freibad, wie zwei normale Teenager, sind sie nur einmal gewesen. Mit ihrer Klasse am letzten Tag vor den Sommerferien, die rückblickend die schönsten in Adams Leben gewesen sind.
Diesen einen Sommer lang haben sie sich weiter weg vom Haus getraut, wenn der Alte nicht in der Stadt war und sich ihre Freiräume schlagartig vergrößerten. Dann sind sie zum Weiher gefahren, sind dort bis in die Mitte geschwommen und haben sich auf dem Rücken treibend ihre Zukunft ausgemalt.
Rosige Wolkenschlösser, eine Idee unrealistischer als die andere und doch hatte Adam sich in diesem Moment das Träumen erlaubt. Das Träumen von einer Zukunft mit Leo darin.
Dieser Traum hat sich verwirklicht, mit Umwegen und nicht ohne Schmerz, aber sie arbeiten und leben zusammen - so wie sie es sich in diesem Sommer erträumt haben.
„Freibad-Pommes klingen gut.“ Mit einem Schmunzeln reicht er Leo den Zettel, der sich zu einem stürmischen Kuss zu ihm hinunter beugt.
„Ich habe unsere Badesachen schon im Auto. Wir können sofort los.“
„Und Esther und Pia?“, grinst Adam und lässt sich von Leo aus dem Stuhl ziehen.
„Wir können ja fragen, ob sie mitwollen. Dann können wir das sogar als Teammaßnahme verbuchen.“ Leo zwinkert ihm belustigt zu.
Auch wenn sein Freund es als Witz tarnen will, Adam weiß wie viel Wahrheit dennoch in seinem Vorschlag mitschwingt.
Nach dem ganzen Mist zu Beginn seiner Zeit hier im Team und bis Leo und er ihre Gefühle füreinander auf die Reihe bekommen haben, war die Stimmung zwischen ihnen alles andere als gut gewesen.
Mittlerweile würde Adam zaghaft behaupten, dass sogar Esther eine Freundin ist, die ihm nur noch an fünf von sieben Tagen die Nerven raubt.
Er tastet nach Leos Hand, verschränkt ihre Finger und drückt sie fest.
„Lass sie uns fragen.“
„Wenn der Eiskonsum steigt, steigt auch die Mordrate! Das ist bewiesen!“
Pias Wangen sind nicht nur von der Sonne gerötet. Ihre blauen Augen blitzen vergnügt in die Runde, während sie sich neben Leo auf der Picknickdecke räkelt und ihre nassen Haare ausschüttelt.
Sie haben sich einen Platz am Rande des Trubels gesucht, wo Esther und er die Decke im Schatten einer Eiche ausgebreitet haben. Leo und Pia, deren Hauttypen ein Sonnenbad eher verziehen, haben ihre Decke direkt in der Sonne ausgebreitet, ehe sie für eine erste Abkühlung ins Wasser gestürzt haben.
Adam würde sich nicht beschweren, auch wenn er so Esther bitten muss, ihm den Rücken einzucremen, da Leo wie magisch angezogen vom Wasser gewesen und keinen Gedanken an Adams empfindliche Haut verschwendet hat. Würde er ja nicht mal selbst, allerdings würde es spätestens zuhause auf wenig Gegenliebe stoßen, wenn er sich auch nur einen leichten Sonnenbrand zugezogen hätte.
Und bei dem ganzen Narbengewebe auf seiner Rückseite geht das erschreckend schnell, wie Adam auf seinen Reisen schmerzhaft hat lernen müssen. Am Strand von Koh Tao hat er sich sicher genug gefühlt, seinen Körper nicht mehr unter einem T-Shirt zu verstecken. Sollte doch jeder sehen, wie die Drecksau ihn gezeichnet hat. Seine Narben waren nichts für das er sich schämen musste. Sie waren nur ein Zeichen, dass er überlebt hatte.
Der erste Sonnenbrand auf dem empfindlichen Gewebe war ihm wie eine Strafe für seinen Übermut vorgekommen und keine Salbe der Welt hatte ihm diesen Schmerz nehmen können, der nicht nur von verbrannten Hautschichten herrührte.
Es war ihm eine Leere und seitdem hat er seinen Rücken nicht mehr der direkten Sonne ausgesetzt, wenn da keiner ist, dem er genug vertraut, die Sonnencreme aufzutragen. Er ist die Fragen nach der Geschichte hinter den Narben leid. Sie ist nicht heldenhaft, er hat nur eine scheiß Kindheit überlebt.
In Berlin hatte er Vincent genug vertraut, wenn sie sich zwischen die vielen Menschen an einem der Berliner Seen quetschten, um ein paar Glücksmomente des Sommers aufzusaugen.
Zurück in Saarbrücken, zurück bei Leo, ist es keine Frage gewesen, ob er seinem besten Freund genug vertraut. Leo kennt jede einzelne Narbe, dank ihm sind einige nicht so wulstig verheilt, weil sie die sanfte Pflege seines besten Freundes damals bekommen haben.
Dass er in diesem Moment ausgerechnet Esther vertraut und ihr im wahrsten Sinne den Rücken zukehrt, zeugt davon, wie weit sie gekommen sind, seit keine Arschlochverwandten und Kleinkriminellen mehr zwischen ihnen stehen.
Ohne die ganzen Ressentiments können sie tatsächlich so etwas wie Freunde sein, die sich zwar Beleidigungen an den Kopf werfen, sie aber nur noch in einem von fünf Fällen auch so meinen. Adam würde lügen, wenn er leugnet, dass es ihnen allen viel besser geht mit der entspannten Situation. Leo wirkt gelöster und auch wenn ihre Beziehung sicherlich einen Großteil zu dieser glücklichen Version von Leo beiträgt, so ist sie nicht der einzige Faktor.
Esther hat Leo als Chef akzeptiert, versucht nicht mehr seine Arbeit zu sabotieren oder infrage zu stellen, sondern unterstützt ihn und fordert ihn, wenn sie glaubt, dass ihr Team noch mehr könnte und Leo die treibende Kraft sein muss.
Die Erfolge ihres Teams geben ihr recht.
„Was sollen das denn für Beweise sein? Wie kann mit steigendem Eiskonsum, denn die Mordrate wachsen?“, reißt ihn Leos belustigte Stimme aus den Gedanken.
Leo hat sich nach hinten auf seine Unterarme gestützt, das Gesicht genießerisch der Sonne entgegen gereckt. Auf der bereits leicht gebräunten Haut trocknen die letzten Wassertropfen, die verführerisch glitzern und Leo wie einem Renaissance-Gemälde entsprungen aussehen lassen.
Die knappe rote Badehose ist auch mehr ein Witz, als ein angebrachtes Kleidungsstück für ein Freibad, in dem auch Kinder sind. Zumindest, nach Adams nicht jugendfreien Gedanken bei dessen Anblick zu urteilen.
Adam würde später, im Schutz ihrer Wohnung, ein ernstes Wörtchen mit seinem Freund reden müssen. Vielleicht auch zwei. Je nachdem wie einsichtig sich Leo zeigt, dass er in diesem Aufzug Adam viel zu wuschig macht.
Dazu aber später, erstmal interessiert Adam wirklich, auf welchen skurrilen Zusammenhang Pia dieses Mal gekommen ist.
Er schwingt sich in den Schneidersitz und schaut die immer noch vor sich hin grinsende Pia prüfend an.
„Weil die Menschen ausrasten, wenn ihnen jemand anderes das Eis klaut?“, mutmaßt er. Menschen bringen im Affekt aus den merkwürdigsten Gründen Leute um.
„Nein, das nicht.“ Pia schüttelt den Kopf und ihre nassen Locken fliegen um ihre Schulter.
Adam zuckt mit den Schultern, schiebt nachdenklich die Unterlippe vor und zwinkert ihr zu. „Ich würde es machen.“
Leos Lachschnauben vermischt sich mit Esthers gequälten „Schürk“ und lassen Pia in schallendes Gelächter ausbrechen, dass die beiden Frauen auf der Decke unweit ihrer entrüstet zu ihnen hinüberschauen.
„Lass dir gesagt sein, noch mal hole ich dich nicht aus dem Knast!“ Gespielt drohend hebt Leo den Zeigefinger und aus den Augenwinkeln sieht Adam, wie die Frauen sie nun entsetzt ansehen und hastig miteinander zu tuscheln beginnen.
Dass sie überhaupt mittlerweile über Adams kurzen Aufenthalt im Gefängnis scherzen können, erscheint Adam immer noch wie ein Wunder. Klar, als er irgendwann eingesehen hat, dass Therapie doch nicht ganz verkehrt wäre, ist es ihm immer leichter gefallen mit Leo darüber zu sprechen.
Über seine Angst, dass Leo ihm nicht geglaubt und ihn ans SEK verraten hatte.
Über die Wut und die Trauer, dass Onkel Boris ihn verraten hatte und doch nicht anders als die Drecksau gewesen ist.
Über die Hoffnungslosigkeit, dass sie seine Unschuld nicht beweisen können, weil alle Indizien gegen Adam sprechen und sie ihnen glauben.
Doch mit jedem Gespräch ist es einfacher geworden, die Ängste loszulassen und eines Tages hat er nichts mehr gespürt, wenn der Knast zur Sprache kam.
„Bevor Adam noch auf Ideen kommt, die Leo nur traurig machen, verrate ich es euch!“
Pia schlägt ihre Beine unter und klopft einen Trommelwirbel auf ihre Oberschenkel.
„Es ist eine dritte Variable, die ihr nicht bedacht habt: Wann essen Menschen mehr Eis? Na?“ Erwartungsvoll schaut sie von einem zum anderen.
„Wenn es wärmer ist?“, fragt Leo zögerlich, die Stirn nachdenklich in Falten gelegt. Überzeugt Adam nicht, Eis kann er auch bei Minustemperaturen essen.
Bestätigend schnipst Pia mit dem Finger und deutet auf Leo.
„Und was hat das mit Mord zu tun?“, bohrt sie weiter.
Dieses Mal antwortet ihr Esther, der ein Licht aufzugehen scheint. „Weil dann mehr Menschen draußen unterwegs sind?“
„Genau!“ Zufrieden lehnt sich Pia zurück, ein breites Strahlen auf ihrem Gesicht.
„Wie kommst du nur auf sowas?“ In Esthers Stimme schwingen Unglaube und Anerkennung gleichermaßen mit. Ähnliche Emotionen kann Adam auch auf Leos Gesicht ausmachen, seine Augenbrauen sind über die Ränder seiner Sonnenbrille gewandert, den Kopf leicht geneigt und Pia musternd.
„Hat so eine Insta-Seite als überraschenden Fakt gepostet. Ich fand's lustig.“ Sie hebt die Schultern und kringelt ihre Zehen auf der Decke. „Keine Ahnung wie es euch geht, aber ich habe jetzt Hunger!“
Kopfschüttelnd grinst Adam in sich hinein, während Leo ein paar Geldscheine aus seinem Portemonnaie fischt und sie Pia für Pommes und Getränke in die Hand drückt.
Für sowas liebt er Pia. Sie ist für Überraschungen gut, hat einen trockenen Humor, den Adam mit ihr teilt, und das Herz am rechten Fleck.
Sie ist die Erste gewesen, die Adam nach der ganzen Sache mit dem Geld verziehen hat. Noch lange vor Leo und Ewigkeiten vor Esther. Adam hat nicht gerade einen riesigen Freundeskreis vorzuweisen, eigentlich nur Vincent und Leo, so dass er anfangs von Pias freundschaftlicher Zuneigung überfordert gewesen ist.
Wie ist man ein Freund? Was wird von ihm erwartet? Kann er das überhaupt?
Pia ist geduldig mit ihm gewesen, hat aber auch gerade, was Leo betraf, klare Worte gefunden. Am Ende würde er ihr den Hauptanteil zu schreiben, dass er seinen kläglichen Rest an Mut zusammengenommen und Leo nach einem Date gefragt hat.
Bis heute ist er ihr dankbar für den überfälligen Tritt in den Hintern.
Leo rutscht zu ihm auf die Decke, als Pia begleitet von Esther in Richtung der Imbissbuden davonzieht. Die Haut seines Freundes ist angenehm kühl an seiner und Adam lehnt sich mit einem zufriedenen Seufzen an Leos Schulter.
Für einen Moment lang genießt er mit geschlossenen Augen die sanften Geräusche des Sommers. Das Rauschen des Windes in der Baumkrone über ihm, die Sinfonie aus freudigen Stimmen und das Spritzen von Wasser, über das sich der gellende Laut einer Trillerpfeife legt.
„Die erinnern mich an uns damals“, sagt Leo mit leiser Stimme in die friedliche Szenerie rein und presst einen Kuss gegen Adams Schläfe, der blinzelnd die Augen öffnet.
Adam folgt Leos Blick und sieht die beiden Jungen am Sprungturm, den sie von ihrem Platz aus gut im Blick haben.
Der Kleinere der beiden klammert sich ängstlich an das Geländer des Sprungbretts, während sein Freund ihm von unten Mut zu spricht.
Ein sanftes Lächeln schleicht sich auf Adams Lippen. Ja, sie erinnern auch ihn an Leo und sich damals.
Leo hat ähnlich ängstlich dort oben gestanden und sich nicht getraut herunterzuspringen. Die anderen Jungen aus ihrer Klasse haben ihn ausgelacht und es war nur der Anwesenheit der Lehrer zu verdanken gewesen, dass Adam sich die Idioten nicht vorgeknöpft hat.
Lieber war er zu Leo auf den Turm geklettert, der ihm mit Tränen in den Augen entgegengesehen hat. Adam konnte damals schon Leo nicht traurig sehen und so hat er nach Leos Hand gegriffen, um mit ihm Hand in Hand sich in das Wasser unter ihnen zu stürzen.
Er konnte sich noch genau an den überraschten Ausdruck in Leos Augen erinnern, als sie an der Kante standen, das kühle Nass unter ihnen. Tränen hingen noch in seinen dichten Wimpern, aber da war auch etwas Glühendes in seinem Blick gewesen, das Adam den Atem geraubt hatte. Sein Herz hatte nicht nur durch den Sprung so aufgeregt in seiner Brust geschlagen und er hatte Leos Hand fester umklammert und nicht wieder losgelassen, bis ihre Körper durch die Wasseroberfläche brachen.
Das Strahlen in Leos Augen, als sie wieder aufgetaucht waren, hatte den letzten Rest Luft aus seinen Lungen gepresst. Das breite Lachen und die unbändige Freude, die Leo vibrierend ausgestrahlt hatte, waren fast zu viel für ihn und seine Beherrschung gewesen.
Wenn er damals noch nicht in Leo verliebt gewesen war, dann ist Adam sich sicher, dass dieser Moment der Auslöser war.
„Ich bin damals nur auf diesen verschissenen Turm geklettert, weil ich dir imponieren wollte.“
Ein verlegenes Lachen begleitet Leos Worte und Adam reißt den Kopf von Leos Schulter hoch. Die Röte auf Leos Wangen stammt sicherlich nicht mehr allein von der Sonne.
„Du wolltest du imponieren? Warum?“, fragt Adam atemlos und ärgert sich, dass er Leo nicht in die Augen sehen kann und sich nur in der Sonnenbrille spiegelt.
Er sieht, wie Leo einen tiefen Atemzug nimmt und nach den richtigen Worten zu ringen scheint, als würde er gleich eine Bombe platzen lassen, die alles verändert. Dabei sollte sein Freund doch nach fast einem Jahr Beziehung wissen, dass er nichts sagen kann, was Adam verscheucht.
Adam würde nicht gehen, nicht freiwillig und selbst wenn Leo ihn fortschicken würde, würde Adam nicht kampflos aufgeben. Dafür ist er die letzten Monate zu glücklich gewesen, als das einfach so aufzugeben.
„Leo“, flüstert er, als der Mann neben ihm stumm bleibt und unablässig mit dem Finger Kreise auf der Decke malt.
„Weil ich damals so furchtbar verliebt in dich war“, gesteht Leo nach einem weiteren Moment des Schweigens.
Ein ungläubiges Lachen entfährt Adam und bevor Leo erschrocken vor ihm zurückweichen kann, hat er die Arme um die breiten Schultern geschlossen und seine Nase in Leos Nacken vergraben.
„Ich auch in dich.“
Sie waren solche Idioten damals. Bis über beide Ohren ineinander verknallt, aber zu feige, zu traumatisiert, etwas aus ihren Gefühlen zu machen.
Leos Griff um Adams Mitte wird eine Spur fester, drängender und Adam hört das leise Seufzen an seinem Ohr, spürt Leos Atem auf seiner Haut.
„Ein Glück haben wir es jetzt geschafft“, wispert Leo und lehnt sich zurück, um Adam küssen zu können.
Der Kuss schmeckt nach Sommer, nach Liebe und nach verpassten Momenten, aber auch nach einem Versprechen, dass es Glücksmomente wie diesen noch viele geben wird.
Und später auch nach Freibad-Pommes, die er sich dann doch mit Leo geteilt hat.
So wie er alles, was er hat, immer mit Leo teilen würde.
Chapter 9: August: Wenn der Sommer kommt
Summary:
Das Kapitel, in dem Sandburgen am Strand gebaut werden und die Adam auf Ideen bringen.
Notes:
Die Hälfte vom August ist nun schon fast wieder vorbei und mit der letzten Abgabe ist der Kopf auch frei gewesen, dass Kapitel fertigzustellen.
Inspiriert ist das ganze zum Teil vom eigenen Urlaub, der schon viel zu lange zurückliegt.Für alle also, die schon Urlaub hatten und das Gefühl gern verlängern wollen. Aber auch für alle anderen <3
Genießt die letzten Sommertage und danke euch fürs Lesen <3
Chapter Text
August: Wenn der Sommer kommt
Gut gelaunt in den Urlaub fahren
Picknick an der Autobahn
Irgendwo findet jeder sein Stück Natur
Wenn der Sommer kommt
(Wenn der Sommer kommt - Rolf Zuckowski)
Langsam kitzeln Adam die Sonnenstrahlen des anbrechenden Tages aus dem Schlaf. Das Erste, was er wahrnimmt, als seine Sinne die Schwere des Schlafes abschütteln, ist das ferne Rauschen der Wellen, unter das sich das fröhliche Gekreische der Möwen mischt.
Ein seliges Lächeln huscht über sein Gesicht und für einen kurzen Moment vergräbt er das Gesicht noch mal im weichen Kissen unter sich. Eine Woche sind sie nun schon hier und noch immer hat dieser Zauber des Morgens nicht seinen Reiz auf ihn verloren.
Ihr kleiner Bungalow steht unmittelbar an der Strandpromenade des kleinen Ostseebads, in das sich auch inmitten der Sommerferien kaum Menschen verirren. Nur ein paar Schritte durch den Garten mit den Apfel- und Kirschbäumen und schon erstreckt sich vor ihnen die Ostsee mit einem breiten, weißen Sandstrand und blau-weiß gestreiften Strandkörben, von denen einer zum Haus gehört.
Dort könnte Adam, wenn es nach ihm geht, den ganzen Tag mit Leo sitzen, auf die Wellen und die tanzenden Möwen im Wind blicken und ab und zu seine Nase in dem Buch vergraben, dass er sich extra für diesen Urlaub aufgehoben hat. Ein Ostseekrimi, der ihm viel Kopfschütteln von seinem Freund eingebracht hat. Krimi ist das Letzte, was er in diesen Tagen möchte. Dafür bevorzugt er lieber den Debütroman irgendeines französischen Autors, den Esther ihm empfohlen hat und von dem Adam kein einziges Wort versteht, da es für Leo selbstverständlich zu sein scheint, den Roman in Originalsprache zu lesen.
Adam ist es recht, solange sie ein paar faule Stunden im Strandkorb verbringen können und er nicht von Leo auf einem dieser ungemütlichen Leihräder über die Landzunge gejagt wird, auf der ihr Urlaubsdomizil liegt. Da konnte auch das Versprechen auf ein großes Eis Adams schmerzenden Hintern nicht überzeugen. Zumal der seine Lust auf andere Urlaubsaktivitäten deutlich schmälert, wie auch Leo feststellen durfte. Seitdem sind die Fahrräder wieder im Schuppen verschwunden, doch dafür hat Leo lange Wanderungen auf ihren Plan gesetzt, was Adam nur bedingt überzeugt.
Lieber würde er mit Leo durchs Wasser kraulen und so dem täglichen Bewegungsbedürfnis seines umtriebigen Partners nachkommen, doch zu seinem eigenen Erstaunen zeigt Leo sich sehr wasserscheu angesichts der Wassertemperaturen, die dank des doch sehr launischen Sommers immer noch um die 20 Grad liegen. Da haben auch die wenigen heißen Tage der letzten Wochen die Wassermenge nicht erwärmen können.
Adam hielt das allerdings nicht auf, vielleicht das einzig Gute, dass das Training seines Vaters bewirkt hat: Kalte Temperaturen können ihm nichts und die Temperaturen der Ostsee sind immer noch weitaus angenehmer, als die ihres Pools im Dezember.
Gähnend reckt Adam den Kopf, um einen Blick durch das Fenster hinaus auf die See zu werfen. Gerade wenn die See sich so spiegelglatt wie an diesem Morgen präsentiert, nimmt die Vorfreude seinen ganzen Körper ein und der Drang, sich kopfüber in die Fluten zu stürzen wird übermächtig.
Leise schwingt Adam seine Beine aus dem Bett und tritt an das Fenster. Der Rahmen knarrt ein wenig, als er das angekippte Fenster weit öffnet und die würzige Seeluft in seine Lungen strömt. Er nimmt einen tiefen Atemzug, schmeckt das Salz und die Algen förmlich auf seinen Lippen und der Wind kühlt sein vom Schlaf erhitztes Gesicht.
Hinter ihm im Bett brummt Leo unzufrieden. Das Gesicht halb im Kissen vergaben, die braunen Haaren wuschelig auf dem blau-weißen Bezug ausgebreitet, sieht er so verführerisch gemütlich aus, dass Adam seinen Plan eines morgendlichen Bades in der Ostsee fast wieder verwerfen lässt.
Die ersten Tage ist es Leo gewesen, der mit dem ersten Möwengeschrei aus dem Bett und in den Laufschuhen gewesen ist, während Adam im Bett zurückgeblieben ist und sein Schlafdefizit ausgeglichen hat.
Die letzten Wochen vor ihrem Urlaub sind anstrengend gewesen. Die fehlende Klimaanlage im Büro ist ihr kleinstes Problem gewesen, da sich der Sommer eh kurz darauf für eine Weile verabschiedet hat und Adam kurz davor gewesen ist, seine warmen Hoodies aus dem Schrank hervorzuholen. Und auch wenn er es begrüßte, dass mal kein Mord im Saarland passierte, so war das Studium von Altfällen keine auslastende Tätigkeit.
An manchen Tagen fragt er sich wirklich, was ihm damals an der Laufbahn des Kriminalbeamten gereizt hat. Vermutlich hat er sich dank Film und Fernsehen ein völlig falsches Bild von dem Berufsfeld gemacht. Anders als die Kollegen und Kolleginnen im mittleren Dienst ist er meist an den Schreibtisch gefesselt und schlägt sich mit Sachbearbeitertätigkeiten herum, statt draußen zu sein und das Verbrechen zu bekämpfen -- und wenn es nur ein verwirrter Verkehrsteilnehmer am Ludwigskreisel ist. Alles erscheint ihm spannender als Altfälle wälzen und auf neue Spuren und Ansätze zu hoffen.
Und dennoch hatte die Situation ihn geschlaucht und urlaubsreif gemacht. Er hatte es gar nicht erwarten können, dass sie endlich in den Urlaub aufbrachen, zumal sie einen weiten Weg vor sich hatten. Vincent hatte ihnen den Ferienbungalow seiner Großeltern zugesagt und darauf bestanden, dass sie auf ihrem Weg an die Ostsee in Berlin Halt machten. Adam war es nur recht gewesen. Schon lange hatte er Leo die Plätze zeigen wollen, die ihn in der Zeit vor seiner Rückkehr so geprägt haben.
Leo ist noch nie in der Hauptstadt gewesen, wie er beschämt eingestanden hatte. Adam hat das als Anlass genommen, sofort auch noch für den Rückweg ihnen ein schickes Hotel zu organisieren, damit sie auch noch das klassische Touristenprogramm von Brandenburger Tor bis Mauerpark absolvieren konnten. Vielleicht würde es Vincent auch noch mal schaffen, sich Zeit freizuschaufeln und sich ihnen anzuschließen. In der deutsch-polnischen Grenzregion scheinen die Verbrecher dieser Welt deutlich aktiver zu sein als bei ihnen und sein bester Freund stürzt von einem Fall in den nächsten.
„Adam?“, nuschelt Leo und öffnet sein Auge ein spaltbreit. „Komm zurück ins Bett.“
Ein breites Grinsen huscht über Adams Gesicht. Die frische Seeluft und die viele Bewegung hat schlussendlich auch Leo umgehauen, so dass er schon die letzten Tage nicht mehr so voller Elan in aller Herrgottsfrühe aus dem Bett springt.
Gut so, denkt sich Adam. Sein überdrehter Flummi braucht diese Auszeit vom ständig in Alarmbereitschaft sein. Sei es wegen der Arbeit oder wegen Adam. Gerade Letzteres will Adam auf keinen Fall. Egal wie oft er ihm schon begreiflich gemacht hat, dass er den Fluchtgedanken, seitdem sie in einer Beziehung sind, nicht mehr hegt, ist Leo dennoch ständig aufmerksam und besorgt. Adam liebt diese Fürsorge, genießt sie auch, aber nicht um jeden Preis.
Und wenn das heißt, dass er seinen Freund im Urlaub schlafen lässt und er sich um alles kümmert, dann versteht Leo hoffentlich diese Geste.
„Schlaf noch etwas, Leo.“ Er lehnt sich über Leo und küsst ihn sanft auf die sonnenverbrannte Stirn. „Ich gehe Brötchen holen.“
Leo brummt irgendwas, tastet verschlafen nach Adams Hand, will ihn festhalten und lässt sie doch erschöpft auf die leere Matratze neben sich fallen.
„Ach Leo“, murmelt Adam und sieht mit einem zärtlichen Ziehen in der Brust auf seinen Freund, dessen Atemzüge wieder langsam und regelmäßig gehen. Der Protest ist schnell wieder eingeschlafen.
Vorsichtig streicht er eine von der Sonne und dem Salzwasser leicht ausgebleichte braune Strähnen aus seiner Stirn. Die grauen Härchen an der Schläfe schimmern im Morgenlicht noch einen Tick silberner und Adam genießt einen Moment lang diesen Anblick.
Leo hasst diese eindeutigen Anzeichen dafür, dass er älter wird und spätestens zuhause wird sein erster Weg zum Friseur führen, um diese Spuren zu beseitigen. Dabei liebt Adam gerade diese kleinen Zeichen, weil sie ein Versprechen sind, dass er mit Leo an seiner Seite alt werden darf.
Ein Privileg wie Adam findet, der sich selbst nie eine große Überlebenschance ausgerechnet hat. Nicht mit seinem Vater und auch nicht mit seinem risikofreudigen Lebensstil nach seiner Flucht aus Saarbrücken. Ihn hatte nichts in seinem Leben gehalten. Kein Grund, den Einsatz unbeschadet zu überstehen und Gefahren nicht unnötig zu suchen.
Doch nun ist da Leo, der ihn auch nach fünfzehn Jahren des Verschwindens und dem ganzen Mist nach seiner Rückkehr in sein Leben gelassen und es bereitwillig mit ihm teilt. Ja, ihn sogar liebt und es ihm jeden Tag aufs Neue zeigt. Allein die letzten Monate, die kleinen Überraschungen, ihre gemeinsame Wohnung -- alles ist auf ein Für immer ausgelegt. Zumindest, wenn es nach Adam geht, denn was Besseres als Leo würde ihm in seinem Leben nicht mehr passieren. Ist ihm auch nie passiert.
Leo gibt ein schmatzendes Geräusch von sich und entzieht sich mit einer Drehung tiefer ins Kissen Adams Hand.
„Ich liebe dich“, murmelt Adam mit einem Seufzen in der Stimme. Und ich hoffe, ich zeige dir das oft genug, fügt er in Gedanken hinzu.
Leise greift er nach dem T-Shirt und seiner Badehose auf dem kleinen Wäscheständer in der Ecke des Schlafzimmers, der seine besten Tage auch schon hinter sich hat. Einige Streben sind verbogen oder schon völlig aus der Fassung gesprungen, aber zum Trocknen von ein paar Shirts und Badesachen reicht es noch und später würde er die Sachen eh über die Wäscheleine im Garten hängen.
Unnötig wie er findet, da er eh nicht vorhat, heute aus den Badesachen rauszukommen, aber er kann jetzt schon Leos Vortrag über Blasenentzündung und Nierenprobleme aufgrund von nassen Badehosen hören.
Und wenn er damit Leo glücklich machen konnte, würde er halt seine Badehose gegen eine trockene tauschen.
Der Sand unter seinen Füßen ist noch kühl und angespülte Algen kitzeln zwischen seinen Zehen, als er den Dünenaufgang hinter zu ihrem Strandkorb läuft. Wenige Menschen sind so früh am Morgen hier unterwegs, die meisten Einheimische, die mit ihren Hunden spazieren gehen oder Rentnerinnen, die sich wie Adam in die kühlen Fluten der See stürzen wollen.
Er sieht die kleine Gruppe schon von weitem, wie sie fröhlich schnatternd ihre Kleidung ablegen und so wie Gott sie schuf durch das seichte Wasser der Brandung waten. Sie sind jeden Morgen hier, immer zur gleichen Zeit wie Adam festgestellt hat. Je nach Wellengang schwimmen sie bis vor an die Boje, die die Fahrrinne des benachbarten Yachthafens markiert, ihre grauen Schöpfe wie Schaumkronen auf den Wellen.
Vielleicht sollten sie nächstes Jahr wieder hierher fahren, überlegt Adam, während er sich das T-Shirt über den Kopf zieht und auf das Dach des Strandkorbs fallen lässt. Hier sind sie so weit weg von Saarbrücken und ihrem Alltag, dass er das Gefühl hat, freier atmen und wirklich herunterkommen zu können. Er liebt ihr Leben, dass sie sich aufgebaut haben, ihre Familie, ihre Freunde, doch hier gibt es nur sie und keine Verpflichtungen, die sie durch den Tag jagen.
Sein Blick fällt auf den kleinen, bunten Eimer hinter dem Gitter ihres Strandkorbs und das warme Gefühl, das schon den ganzen Morgen in seiner Brust vor sich hin glimmt, breitet sich aus.
Ein gemeinsames Zuhause haben wir schon, aber noch keine Sandburg. Lass uns das ändern, hat in dem dazugehörigen sonnen-gelben Umschlag gestanden, den Leo ihm zusammen mit dem Eimer gereicht hat.
Es sollte sich merkwürdig anfühlen, so ganz ohne Kinder am Strand eine Sandburg hochzuziehen, doch wann haben sie beide schon mal was auf Konventionen gegeben? Sollten die Leute doch über sie lachen oder empört den Kopf schütteln. Sie wissen nicht, wie viel es Adam bedeutet, diese Erfahrung, die viele andere in ihrer Kindheit machten, nachzuholen.
Zusammen mit dem Mann, der ihm bedingungslose Liebe entgegenbringt und bei dem er seine kindliche Seite zum ersten Mal ohne Scheu und Angst vor einer Bestrafung zeigen darf.
Ein paar Reste ihrer Sandburg stehen noch, doch das meiste hat sich die Flut wohl geholt, wie Adam mit Bedauern feststellt, als er die wenigen Schritte zur Wasserkante hinuntergeht und die ersten Wellen seine Knöchel umspielen.
Vielleicht kann er Leo nachher überreden, die Burg noch mal neu aufzubauen.
Der Bungalow liegt genauso still dar, wie er ihn verlassen hat, als er eine Stunde später mit Brötchentüte im Arm wieder auf die Terrasse tritt. Mittlerweile ist die Sonne höher geklettert und wärmt die Steinplatten unter seinen Füßen. Ideales Wetter, um draußen zu frühstücken, befindet Adam und schmeißt die Tüte schwungvoll auf den Gartentisch, ehe sein Blick hinüber zum Schlafzimmer gleitet.
Durch das immer noch geöffnete Fenster kann er das Schnarchen von Leo hören, dass dank der Windstille gut vernehmbar zu ihm herausdringt. Leo scheint also immer noch den Schlaf der Gerechten zu schlafen und hat vermutlich gar nicht wirklich gemerkt, dass Adam fehlt.
Darauf bedacht, keine zu lauten Geräusche zu verursachen, beginnt er alles für ein gemütliches Frühstück à Leo vorzubereiten. Frisch gepresster Orangensaft, Leos scheußliches Körnermüsli mit Joghurt und Beeren und als besondere Krönung wachsweiche Eier.
Er kommt auch gut durch, bis ihm das viel zu laute Mahlwerk der Kaffeemaschine einen Strich durch die Rechnung macht. Aus dem Nachbarzimmer ertönt erst ein Fluchen, dann Schritte von nackten Füßen auf Linoleum und das Knarzen der Tür.
„Adam?“ Leo tapst schwankend auf ihn zu, hält sich gähnend am Rahmen des Durchgangs zur Küche fest.
Die Haare ein wildes Chaos, den Abdruck des Kissens noch deutlich im Gesicht zu sehen und die Augen kaum geöffnet. Am liebsten würde Adam ihn sofort wieder ins Bett stecken, doch damit würde er nicht weit kommen, da Leos Blick nun auf den gedeckten Frühstückstisch gefallen ist und er unglücklich das Gesicht verzieht.
„Scheiße, ich habe verschlafen“, nuschelt er und gähnt herzhaft.
„Wir haben Urlaub, da geht verschlafen gar nicht“, merkt Adam mit einem Augenzwinkern an und greift nach dem fertigen Kaffee.
„Aber…“, setzt Leo an, doch Adam drückt ihm schnell im Vorbeigehen einen Kuss auf den Mund. Nach einem Aber konnte in diesem Fall mal nichts Schlaues von Leo folgen.
„Wir haben Urlaub“, wiederholt er und sieht Leo eindringlich an. „Und es völlig in Ordnung, wenn du mal ausschläfst und dich dann einfach an den gedeckten Frühstückstisch setzt. Okay?“
„Okay“, erwidert Leo, sieht dabei aber nicht sonderlich überzeugt aus. „Morgen kümmere ich mich wieder.“
Nur mühsam verkneift Adam sich ein Augenrollen und trägt die Kaffeekanne nach draußen auf die Terrasse. Sie würden ja sehen, ob Dornröschen morgen wirklich vor Adam wachen werden würde. Ihm würden schon genug Dinge heute Abend einfallen, um Leo notfalls genug auszupowern.
Warme Arme schlingen sich sacht von hinten um seine Hüften und nur zu gerne gibt er dem leichten Zug nach, der ihn gegen Leos feste Brust zieht.
„Danke“, raunt Leo neben seinem Ohr, ehe er einen federleichten Kuss auf das Stück Haut drückt, das Adams Kragen freigibt.
„Nicht dafür, Leo. Du musst dich nicht immer allein um alles kümmern.“
Leos Atem kitzelt über seinen Nacken, als er mit einem Seufzen seinen Kopf dagegen fallen lässt, die Hände immer noch fest um Adam geschlungen.
„Ich will mich aber um dich kümmern.“ Da liegt etwas Quengelndes in Leos Ton, der nun auch Adam schwer seufzen lässt. Behutsam legt er seine Hände auf Leos, vom Schlaf noch ganz warme, Haut und streichelt sanft darüber. Die Härchen an den Armen knistern leise unter seiner Berührung.
„Tust du doch! Lass mich doch auch mal für dich sorgen.“
Langsam dreht er den Kopf, überstreckt den Hals, bis seine Lippen Leos Scheitel treffen. Ein unzufriedenes Schnaufen kommt von seinem Freund, der sich nun noch enger an ihn schmiegt. Adam kann förmlich Leos Gedanken hören. Leo ist ein Kümmerer, dem es äußerst schwerfällt, die Zügel auch mal abzugeben.
„Ich möchte mich auch mal so gut um dich kümmern wie du um mich.“ Er stupst mit der Nase Leo an, der mit einem schnaubenden Lachen antwortet, das Adam am ganzen Körper spürt.
„Machst du, keine Sorge“, gluckst Leo belustigt und lässt seine Hände ein Stück tiefer wandern, ehe er von Adam gestoppt wird.
„So meinte ich das nicht.“ Adam merkt selbst wie unwirsch er klingt und verflucht sich innerlich.
Er will dem Morgen nicht die friedliche Stimmung nehmen, aber Leo muss ihn verstehen. Die wenigen Beziehungsversuche in der Vergangenheit waren immer nur genau das gewesen, ein Stillen körperlicher Bedürfnisse. Was der andere darüber hinaus wollte und brauchte, hatte nie zur Diskussion gestanden. Ihm wäre nicht mal im Traum eingefallen, Frühstück für Zwei anzurichten, ohne dafür sexuelle Gefälligkeiten zu erwarten.
Natürlich weiß er, dass es mit Leo anders ist, aber die kleine, aber gemeine Stimme des Zweifels drängt sich ihm gerade auf.
„Hey, Adam.“ Leo scheint den Stimmungswechsel bemerkt zu haben und löst sich von ihm, um ihm ins Gesicht sehen zu können. Leos Handflächen sind ein wenig rau, als sie sich an seine Wange legen und sanft das Kinn nach oben drücken. Die grünen Augen, von der Müdigkeit ein wenig blasser als sonst, bohren sich in seine und zwischen den Brauen gräbt sich die Furche ein, die Leo sonst nur bei kniffligen Fällen bekommt.
Adam will aber kein kniffliger Fall sein. Es ist doch alles gut gewesen und jetzt fühlen sie sich offensichtlich beide schlecht.
„Du kümmerst dich um mich. Nicht nur im Bett, das war blöd von mir, dass darauf zu reduzieren. Du bist für mich da, fängst mich auf und gibst mir Halt.“ Ein schiefes Lächeln legt sich auf Leos Lippen. „Und nun gehört wohl auch mal Frühstück machen dazu, was?“
Wie zur Bestätigung knurrt Leos Magen zustimmend auf und löst den Knoten, in den sich Adams Eingeweide verwandelt haben. Mit einem leisen Lachen lässt er seine Stirn gegen Leos sinken, atmet tief den vertrauten Geruch seines Partners ein, der seinen Herzschlag beruhigt.
„Ich werde mir Mühe geben, dich auch mal kümmern zu lassen, okay?“, flüstert Leo und reibt mit sanftem Druck seine Nase an Adams.
„Okay“, stimmt Adam zu, tastet nach Leos Hand und verschränkt ihre Finger miteinander. „Ich mache nämlich ein echt geiles Frühstück.“
„Mehr als Zigarette und Kaffee?“, fragt Leo amüsiert und Adam zwickt ihm strafend in die Seite.
Das gekeuchte Lachen kitzelt auf Adams Lippen, ein feines Prickeln, dass sich über seinen ganzen Körper zu ziehen scheint. Er ist süchtig nach diesem Gefühl, diesen kleinen Funken, der ihn in Flammen stehen lassen kann, dem aber auch nichts sofort folgen muss. Eine feine Glut, die über den Tag schwelt und abends lichterloh brennt.
Ein Blick in Leos Gesicht sagt ihm, dass er dasselbe spürt, sieht das Flackern in seinen Augen und das Versprechen darin.
Vielleicht können sie auch sehr erwachsene, sehr unanständige Dinge in diesem Urlaub zum ersten Mal probieren. Sex im Strandkorb, zum Beispiel. Müssen sie halt nur die Sandburg hoch genug bauen, damit sie keiner sieht, oder auf den Abend warten und Sex unterm Sternenhimmel auch noch gleich mit abhaken.
Es wird ihm viel Überzeugungsarbeit kosten, da er Leos Vortrag zu Erregung öffentlichen Ärgernisses jetzt schon hören kann. Adams eigene Erregung wird da kaum ein Todschlagargument sein, also muss er es geschickt anstellen.
Ein gutes Frühstück ist da schon mal ein Anfang und Leos erneut knurrender Magen stimmt ihm da zu. Alles weitere würde sich danach zeigen. Erstmal ist nur Leos Strahlen wichtig, mit dem er den gedeckten Tisch betrachtet und der süße Kuss, den er als Belohnung bekommt.
Über die strategische Höhe der Sandburg und Adams nicht ganz jugendfreie Verwendung dieser würden sie danach verhandeln.
Chapter 10: September: Drachen im Wind
Notes:
Noch rechtzeitig vor dem Drachenfest und im schönsten Monat des Jahres kommt das dieses Kapitel, auf das ich mich von der Grundidee schon im Januar gefreut habe.
Etwas kürzer als die letzten, aber das ist den Vorbereitungen für den Whumptober geschuldet und lässt euch hoffentlich trotzdem die Bastelsachen hervorholen!Herbstliche Grüße und vielen Dank fürs Lesen der Geschichte, die jetzt schon ihr letztes Drittel erreicht hat.
Chapter Text
September: Drachen im Wind
Ich hab dich selbst gebaut, aus Papier ist deine Haut
Flieg, flieg, flieg, Drachen im Wind (Drachen im Wind)
(Drachen im Wind - Rolf Zuckowski)
Das Grinsen schmerzt an Adams Mundwinkel, als er die Augen vom Brief in seiner Hand hebt und zu Leo blickt, der mit ihn abwartend ansieht.
Es ist Freitagnachmittag, die letzten Berichte sind geschrieben und bereit der Staatsanwalt überreicht zu werden. Ihnen steht ein freies Wochenende bevor, an dem Adam nicht vorgehabt hat, ihr Bett auch nur eine Sekunde zu verlassen. Egal, ob sie schlafen oder sich miteinander beschäftigen würden, Adam ist da nicht wählerisch, solange die Aktivitäten Leo einschließen.
Vielleicht würde er sich auch zu einem Serienmarathon überreden lassen. Seit Ewigkeiten liegt Leo ihm schon im Ohr, dass er diese Serie über den Kaufhauserpresser Arno Funke schauen möchte. Ganz versteht Adam zwar nicht, warum sie sich ausgerechnet in ihrer Freizeit noch mit fiktiv aufgearbeiteten Kriminalfällen beschäftigen sollen, aber wenn es Leo glücklich macht, wird Adam sich neben ihn auf die Couch kuscheln und sich damit begnügen, seine Hand unter Leos Shirt zu schieben.
Mit was er an diesem Wochenende nicht gerechnet hat, ist, dass Leo es für die September-Überraschung nutzt und dieses Mal auch ihre Nichten involviert. Tess ist vor wenigen Wochen in die Schule gekommen und hat ihnen beim letzten Sonntagskaffee bei Leos Eltern stolz ihre Lesefibel und ihr neues Buch mit Herbstgeschichten gezeigt.
Adam weiß nicht, welches verquere Bild ihre Nichten von ihm haben, dass Tess ausgerechnet ihn und nicht Leo gefragt hat, ob er mit ihnen einen dieser bunten Drachen bastelt und sie steigen lässt. Definitiv ist Leo von ihnen der pädagogisch überlegenere, der einige Bücher mit kindgerechten Bastelanleitungen im Bücherregal zu stehen hat und die passende Bastelkiste gleich dazu.
Leos Eltern haben auch viel mit ihren Kindern gebastelt. Einige von Leos Kreationen hängen heute noch ausgeblichenen hinter Glas in seinem Elternhaus und entlocken Adam jedes Mal ein liebevolles Lächeln, wenn er daran vorbeigeht. Das Einzige, was Adams Vater je mit ihm in seiner Kindheit gebastelt hat, sind Pfeil und Bogen gewesen. Was als Kind noch ein harmloser Spaß schien, hat bei Adam schnell in etwas viel Ernsteres umgeschlagen, an das er heute nicht mehr denken mag.
Etwas hilflos hat er bei Tess' Bitte zu Leo geschaut, der ihn betont unschuldig angesehen und an seinem Kaffee genippt hat. Wahrscheinlich ist Tess' Frage gar nicht mal so aus heiterem Himmel bei ihm gelandet, sondern geschickt von Leo eingefädelt worden, diesem Verräter.
Nun versteht Adam auch warum. Leos Überraschungen über das Jahr sind von langer Hand geplant und was steht für den September, dem Sinnbild des Herbstmonats mehr als Drachen steigen lassen.
Langsam faltet Adam den Brief wieder zusammen, den Leo ihn über ihre Tische hinweg zugeschoben hat.
„Nehmen wir eigentlich Esther dann mit zum Drachensteigen?“, fragt er und schiebt den Zettel in den Umschlag.
Leo runzelt die Stirn, ebenso Esther, die an ihrem Bildschirm vorbei zu ihnen schaut. „Wieso?“
„Na als Drache“, grinst Adam und zieht den Kopf ein, ehe die Papierkugel von Esther ihn treffen kann.
„Du Sack“, zischt sie und es zeigt Adam wie weit sie in den letzten Monaten gekommen sind, dass ihren Worten die alte Schärfe fehlt und sie wirklich so etwas wie Freunde geworden sind.
Pia versteckt ihr Lachen hinter ihrer Kaffeetasse, zeigt aber Adam verschwörerisch einen Daumen nach oben.
Adams Drache hat das gewisse Etwas, wie er findet. Gut, er sieht jetzt nicht so perfekt und ästhetisch wie Leos aus, der förmlich einem Kinderbuch entsprungen zu sein scheint — inklusive fröhlichem Gesicht —, aber man erkennt Adams Persönlichkeit in seinem.
Was Leo mit einem amüsierten Schnauben quittiert, aber nicht weit kommentiert hat. Ja, das transparente Papier ist etwas zerknittert, weil Adam sich versehentlich drauf gekniet hat. Auch die Schleifen für den Schwanz erinnern eher an ein Werk von Picasso und wirken dabei sehr gerupft, weil Adams vormals gebrochene Finger diese viel zu komplexe Bewegung nicht hat hinkriegen wollen. Erst als Leo sanft seine Hand geführt und ihm geholfen hat, ist etwas Schleifenähnliches entstanden.
Dennoch sieht sein Drache immer noch besser aus als das schief zusammengeklebte Ungetüm, dass Tess mit Hilfe von Lina hergestellt hat. Die beiden haben schnell die Lust am Basteln verloren und das sieht man dem Endprodukt auch an. Lieber toben sie durch das Wohnzimmer und über die neue Sofalandschaft, als sich mit den Bastelprojekten auf dem Esstisch weiter zu beschäftigen.
Adam hat Leo mehr als einmal wie Caro damals murmeln hören, als er die letzten Stege an dem Drachen angebracht hat. Anscheinend wird die Freude am Basteln eher in der männlichen Linie der Hölzers vererbt, wenn er daran denkt, wie auch Klaus sich stundenlang mit kleinen und großen Handwerksprojekten beschäftigen kann.
„Onkel Leo, können wir jetzt endlich den Drachen steigen lassen?“ Tess klettert auf den Stuhl neben Adam und stützt sich etwas zu sehr auf Adams Drachen ab, so dass das dünne Papier reißt.
„Oh“, macht sie überrascht und schaut auf den Riss im Drachen. Zwar hat Adam in Physik nicht so gut aufgepasst — wie denn auch, wenn das der einzige Kurs war, indem Leo direkt neben ihm saß —, aber so viel weiß er, dass der Riss der Aerodynamik eher schadet als hilft.
„Tess! Du hast Adams Drachen kaputt gemacht“, tadelt Leo, mit einer Spur Ungeduld in der Stimme, die Tess noch erschrockener aussehen lassen.
„Entschuldigung, Onkel Adam“, nuschelt sie und steckt sich verlegen einen Finger in den Mund, während sie mit großen grünen Augen zu ihm aufschaut.
Beruhigend streicht Adam ihr über die Schulter. In seiner Kindheit hätte dieser Vorfall eine ordentliche Tracht Prügel bedeutet, auch wenn sein Vater nie auf die Idee gekommen wäre, mit ihm Drachen zu bauen. Aber allein, dass Adam etwas sabotiert, hätte schon gereicht.
Zum Glück wachsen da Tess und Lina in einer anderen Familie auf und auch wenn Leo ungeduldig klingt, würde es ihm nie einfallen, die Hand gegen seine Nichte zu erheben.
„Schon okay, Tess. Hilfst du mir dann ihn zu reparieren?“ Er schiebt ihr die Bögen mit dem Pergamentpapier zu. Begeistert nickt Tess und greift nach dem pinken Papier, dass Adam kurz das Gesicht verziehen lässt. Die Farbe wäre nun nicht gerade seine erste Wahl gewesen, aber wenn seine Nichte so enthusiastisch das Papier zurechtschneidet und auf den Riss klebt, dann wird Adam sich nicht beschweren.
Er spürt Leos Blick auf sie und sieht zu seinem Freund auf, der die letzte Schleife an Linas und Tess' Drachen anbringt. Das liebevolle Lächeln auf seinen Lippen wärmt Adam so sehr von Innen, dass er verlegen wie damals als Teenager die Lider senken muss, um nicht zu erröten. Auch nach so langer Zeit, in der Adam dieses Lächeln haben darf, kommt sein Herz damit noch nicht klar und wird es vermutlich auch nie.
„So!“ Tess drückt das Papier fest und der Klebstoff zieht an ihren Fingern Fäden. Ihre Augen leuchten fröhlich zu ihm auf. „Können wir dann endlich los?“
Zum Glück spielt das Wetter mit, als sie eine halbe Stunde und einiges an Protesten der Kinder, dass sie ganz bestimmt nicht noch mal auf die Toilette müssen, später die Drachen und Linas Buggy in Leos Wagen verfrachten.
Lina und Tess sind bereits in ihren Kindersitzen auf der Rückbank und Tess demonstriert ihrer kleinen Schwester gerade, wie hoch ihr Drache fliegen wird. Adam hofft inständig, dass sie höher als bis zur Decke des Wagens fliegen werden, weil enttäuschte Kindergesichter könnte er heute nur schwer ertragen. Immerhin ist es auch für ihn ein besonderer Tag und er wahrscheinlich genauso aufgeregt wie seine Nichten.
Leo drückt die Klappe des Kofferraums mit einem Seufzen zu. Das aufgeregte Geschnatter der Kinder wird gedämpft und die Ruhe ist einen Augenblick eine Wohltat in Adams geschundenen Ohren. Er hat gar nicht gewusst, wie laut Kinder sein können und dass sie locker mit dem Lärm der Stadtautobahn mithalten können.
„Ich habe die beiden ja sehr lieb, aber ich bin froh, wenn wir sie nachher wieder bei Caro abliefern können", gesteht Leo mit einem Augenzwinkern und streicht sich die Haare nach hinten. Mit einem Grinsen greift Adam nach Leos Hand und verschränkt ihre Finger miteinander.
„Also soll ich dich heute Abend dann schonen, weil du fürs nichts Aufregendes mehr zu haben bist“, fragt Adam mit betont dunkler Stimme und sieht zu seiner Freude, wie sich die Härchen auf Leos Unterarm aufstellen und ein sanfter Pinkton seine Wange färbt.
„Adam“, presst sein Freund hervor und sieht ihn etwas hilflos an. Vielleicht ist es wirklich nicht die smarteste Idee die Stimmung zwischen ihnen weiter anzustacheln, wenn auf der Rücksitzbank zwei Kinder ungeduldig auf die Abfahrt warten und sicherlich bereits mit ihren Füßen die Lehnen der Vordersitze bearbeitet haben. Am Ende würde Leo ihn morgen noch dazu zwingen, mit ihm das Auto zu säubern, weil sie so schlecht ins Büro fahren können.
Dabei ist es Adam scheißegal wie Leos Auto aussieht, wenn es Zeuge davon ist, dass sie einen schönen Tag mit ihren Nichten verbracht haben.
Der Kuss, den er Leo aufdrückt, ist süß und ein Versprechen, dass sie später genau hier weitermachen. Vielleicht nicht direkt hier auf dem Parkplatz vor ihrem Wohnhaus, aber in dieser Stimmung, die es zwischen ihnen knistern lässt.
„Wo fahren wir eigentlich hin?“, fragt er, als Leo sie geschickt über die Stadtautobahn aus Saarbrücken rauslenkt, über den Klang fröhlicher Kinderlieder aus dem Radio hinweg. Irgendein Lied über Drachen und Drachensteigen, das Adam vage bekannt vorkommt und das Leo leise mitsingt.
Mit Spots zum Drachensteigen lassen kennt Adam sich im Saarland beim besten Willen nicht aus. In Berlin findet jährlich das Drachenfest auf dem Tempelhofer Feld statt, zu dem Vincent ihn ein paar Mal geschleppt hat, um sich die kunstvoll gestalteten Drachen anzusehen und die spektakulären Flugshows zu bestaunen. Kein Vergleich zu den Kunstwerken, die sie gerade durchs Saarland kutschieren.
„Zur Berghalde. Da in die Nähe ist Papa früher schon mit uns zum Drachensteigen gefahren.“ Nach einem Blick in den Rück- und in den Seitenspiegel wechselt Leo auf die linke Spur und zieht an den Fahrzeugen vor ihnen vorbei. „Da wird zwar an so einem Tag wie heute bisschen was los sein, aber das macht nichts. Wir finden schon einen Platz.“
Die Halde ist tatsächlich gut besucht, als sie den Aufstieg geschafft haben. Adam rinnen die Schweißperlen von der Stirn, die im scharfen Wind unangenehm kühl sind. Schon ohne zusätzliche Gewichte hätte der Weg gefährlich an seiner Kondition gezerrt. Doch mit Lina auf dem Arm, die weder alleine gehen noch in ihrem Buggy sitzen bleiben wollte, ist das unfreiwillig zu einem Krafttraining geworden, wie die, die Leo so gern absolviert.
Warum die Kleine also nicht bei Onkel Leo auf dem Arm sitzt, für den das sicherlich ein Klacks gewesen wäre, erschließt sich ihm auch nicht. Wenigstens scheint Lina ihren Spaß zu haben, so wie sie fröhlich auf seinen Kopf trommelt und glücklich vor sich hinjauchzt. Als sie die Mitte der Halde erreichen und Tess und Leo die Drachen auf dem Boden ablegen, beginnt sie unruhig auf seinem Arm zu zappeln, dass Adam sie absetzen muss. Erstaunlich flink für zwei so kurze Beine rennt sie auf ihre Schwester zu, die mit betont ernsten Gesicht den Erklärungen ihres Onkels lauscht.
Am liebsten würde Adam sich auf der Stelle auf den Boden fallen lassen und die nächste Zeit nicht wieder aufstehen, doch das ist keine Option. Zum einen, weil der Boden dreckig und matschig von den Regengüssen der letzten Tage ist. Und zum anderen sieht Leo ihm schon auffordernd entgegen und Adam schwant, dass er derjenige sein wird, der die Drachen zum Fliegen bringen darf. Na, danke auch, so hat er sich das nicht vorgestellt.
Tess streckt ihm freudestrahlend ihren Drachen entgegen, als er näherkommt. „Onkel Leo hat gesagt, du musst ganz schnell rennen, damit er fliegt.“
„Ach hat der Onkel Leo das gesagt?“ Skeptisch hebt Adam eine Augenbraue und schaut zu Leo, dessen Mundwinkel belustigt zucken. „Und warum rennt der Onkel Leo nicht selbst?“
Immerhin ist es nicht Adam, der jeden Morgen freiwillig joggen geht, obwohl man ganz gemütlich bis fünf Minuten vor Abfahrt schlafen könnte. Auch wenn er das selten macht, da Leo bei seiner Rückkehr meist dafür sorgt, dass Adam sich beim Duft von frischen Kaffee aus dem Bett bequemt.
„Weil der Onkel Leo“, beginnt Leo und verschränkt die Arme vor der Brust, „Dir doch ein ultimatives Kindheitserlebnis versprochen hat und das gehört nun mal dazu.“
Er will protestieren. Sicherlich hat Klaus Leo nicht rennen lassen, damit der Drachen fliegt. Bestimmt haben Leo und Caro einfach stehen bleiben dürfen, den Drachen fest in der Hand und den Blick auf den Himmel gerichtet, wo der bunte Himmelstürmer bald auftaucht. So zumindest hat Adam sich das vorgestellt. Und nicht wie den jährlichen Fitnesstest.
„Bitte Onkel Adam.“ Die Schippe, die Tess zieht, ist filmreif und erinnert ihn sehr an Caro, wenn sie Leo und ihn zum Babysitten überreden will. Seine Augen huschen wieder zu Leo, der Tess' Gesichtsausdruck spiegelt und ähnlich dramatisch seine Unterlippe vorgeschoben hat.
Die Hölzers, ob groß oder klein, sind seine Achillesferse, so viel steht fest.
Theatralisch seufzend greift er nach der Kordel, was mit einem Jubeln von Tess und Lina begleitet wird, als er sich langsam trabend in Bewegung setzt. Er ist fast am Ende der Halde angekommen, als der Windstoß sich unter den Drachen hebt und er langsam in den Himmel aufsteigt.
Überrascht bleibt er stehen, schaut hinauf, wo er sich wie im Tanze wiegt und sich in die anderen bunten Kleckse einreiht. Ein warmes Gefühl durchströmt ihn, formt sich zu einem wohligen Knäul in seinem Bauch und entlockt ihm ein glucksendes Lachen.
Begleitet von Begeisterungsrufen stürmen Tess und Lina auf ihn zu, das Lächeln auf Leos Gesicht macht der Sonne Konkurrenz, als er sich zu Adam lehnt und ihm einen festen Kuss aufdrückt.
„Zu viel versprochen?“, murmelt er an Adams Mundwinkel und legt einen Arm um ihn.
„Nein“, haucht Adam, blinzelt gegen die Tränen an, die verräterisch hinter seinen Lidern brennen. Das ist auch so eine Sache, die er erst mit Leo gelernt hat. Nicht nur, dass Tränen nicht etwas sind, für das man sich schämen muss, sondern dass man manchmal auch einfach vor Glück weint.
Weil gerade, mit den bunten Drachen im Wind, Leos Arm um sich und den fröhlichen Lachen ihrer Nichten ihm Ohr, ist Adam verdammt glücklich.
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